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3 Orthographie1

„Se escribe (casi) como se habla“

Als Lehrkraft für Spanisch hat man den Vorteil, dass man sich im Unterricht viel weniger mit der Schreibung des Spanischen auseinandersetzen muss als die Kolleg:innen, die Englisch oder Französisch unterrichten. Das Spanische weist bekanntlich eine sehr einfache Orthographie auf. Mehr noch: Das Spanische besitzt im Vergleich mit anderen Sprachkulturen, die ein alphabetisches Schriftsystem zugrunde legen, sogar eine der ‚besten‘ Orthographien. Gemeint ist, dass hier – noch viel mehr als im Deutschen – gilt, dass man schreibt, wie man spricht und spricht, wie man schreibt. Wie phonographisch ein Schriftsystem im Detail ist, kann anhand der sogenannten Graphem-Phonem-Korrespondenzen (GPK) bemessen werden, die das Verhältnis zwischen geschriebenem Zeichen (Graphem) und gesprochenem Laut (Phonem) beschreiben. Schon in der Antike wurde das Ideal formuliert, dass zwischen Lauten und Buchstaben ein möglichst eindeutiges 1:1-Verhältnis bestehen soll: Ein Laut entspricht einem Buchstaben, und jeder Buchstabe steht für genau einen Laut. Keine Orthographie entspricht diesem Ideal vollständig, aber in manchen Sprachkulturen liegt sie der Aussprache näher als in anderen. Ist das der Fall gelten sie als ‚phonographischer‘ oder ‚phonologisch transparenter‘. Ist das der Fall, spricht man von einem ‚flachen‘ System. Weicht ein Schriftsystem dagegen stark von diesem Ideal ab und enthält in der Graphie viele Informationen, die morphologisch oder etymologisch motiviert sind, oder spiegeln noch eine viel ältere Aussprache wider (wie das im Englischen und Französischen der Fall ist), so spricht man von ‚tiefen‘ Schriftsystemen. Vergleicht man die romanischen Sprachen mit Deutsch und Englisch, wäre die Reihenfolge wie folgt:

Italienisch (am ‚flachsten‘)
Spanisch
Portugiesisch
Deutsch
Französisch
Englisch (am ‚tiefsten‘)

Ein Kapitel zur linguistischen Betrachtung der Orthographie des Französischen oder Englischen müsste daher sehr umfangreich sein, um das System zu beschreiben und einen linguistisch fundierten Umgang damit auszuloten.

Orthographien im Vergleich: Beispiele aus anderen (Schul-)Sprachen

Ein Blick in andere Schulsprachen einschließlich das Deutsche zeigt, dass Orthographien sehr unterschiedlich eng an die Lautung gebunden sind:

  • Italienisch: Fast ideales 1:1-System. amico wird so gesprochen, wie es geschrieben steht. Selbst Wörter wie avere ‘haben’ und elicottero ‘Hubschrauber’ kommen ohne h aus – im Gegensatz zu sp. haber und helicóptero.
  • Deutsch: Zahlreiche Abweichungen vom 1:1-Ideal. Orthographisch problematisch ist beispielsweise die Kennzeichnung von Vokallänge. Ein langer Vokal kann auf verschiedene Weise erscheinen: durch Verdopplung (Boot [boːt]), durch Dehnungs-h (sehen [ˈzeːən]) oder ohne sichtbares Zeichen (Ofen [ˈoːfn̩]). Kurze Vokale werden oft durch Doppelkonsonanten angezeigt (offen [ˈɔfn̩]), aber auch das ist nicht durchgängig systematisch. Typische Beispiele sind Staat [ʃtaːt] vs. Stadt [ʃtat] sowie Wall [val] gegenüber den gleich ausgesprochenen Wal [vaːl] und Wahl [vaːl].
  • Französisch: Sehr tiefe Orthographie. Viele Buchstabenfolgen stehen für denselben Laut, z.B. eau und haut, beide [o]. Hinzu kommt, dass zahlreiche Endungen nicht gesprochen werden: parlent [paʁl], grand [gʁɑ̃], beaux [bo] (wie auch beau). Die Schrift bewahrt so morphologische und historische Informationen, die in der Aussprache längst verschwunden sind.
  • Englisch: Ebenfalls stark unregelmäßig. read kann [riːd] oder [rɛd] bedeuten; though [ðoʊ], through [θruː] und cough [kɒf] illustrieren dieselbe Graphemkombination mit völlig unterschiedlicher Lautung. Regelhafte Aussprache ist nur eingeschränkt ableitbar.

Dieses Kapitel ist dagegen übersichtlich gestaltet, denn hier gilt es lediglich, die Abweichungen vom Ideal zu beschreiben. Gemeint sind also jene Aspekte der spanischen Orthographie, die man als ‚Ausnahmen‘ bezeichnet und hier und da etwas ‚Tiefe‘ aufweisen. Zusätzlich wird hier auch auf die Akzentsetzung eingegangen, die überaus schnell erlernt werden kann und ebenfalls viel simpler als in anderen Sprachen ist. Spanischlernende können beim Erlernen der Orthographie schon früh Erfolgserlebnisse haben, wenn sie einige wenige Regeln und Ausnahmen beherrschen.

Fast perfekt: Abweichungen vom Ideal

Je genauer man hinschaut, desto mehr Abweichungen vom Ideal der 1:1-Entsprechung von Lauten und Buchstaben fallen im Spanischen auf. Diese kurz unter schriftlinguistischen Gesichtspunkten zu reflektieren, ist auch für den Spanischunterricht nützlich, denn genau hier liegen doch die Herausforderungen und potenziellen Fehlerquellen. Tatsächlich folgen die meisten Abweichungen aber klaren Prinzipien, die es wiederum möglich machen, eine nachhaltige orthographische Kompetenz zu vermitteln. Im Folgenden werden nur die häufigsten und somit relevantesten Fälle erläutert – vollständige Analysen finden sich in der unten angegebenen Fachliteratur.

Vokale

Bei den Vokalen gibt es nur wenige Abweichungen. So enden spanische Wörter nie auf unbetontem <i>, es sei denn, es handelt sich um Fremdwörter (bikini, taxi). Manchmal wird /i/ nicht durch <i>, sondern durch <y> wiedergegeben: So ist es bei Wörtern, die auf Diphthong enden wie rey oder muy. Auch die Konjunktion y wird mit <y> geschrieben (u.a. im Katalanischen dagegen mit <i> wie in rei, i usw.).

Eine kleine Herausforderung stellen geschriebene Vokale dar, die nur diakritische (also unterscheidende) Funktion ohne eigenen Lautwert aufweisen. Das gilt in vielen Sequenzen für <u>, nämlich nach <g> und in <qu>, um zu kennzeichnen, dass diese als Plosive (Verschlusslaute) zu artikulieren sind, wie in guitarra, guerra, queso und quitar. Übrigens ist das in den Orthographien beispielsweise des Französischen und Portugiesischen genauso. Im Italienischen ist das Prinzip identisch, nur der diakritisch verwendete Buchstabe ein anderer, nämlich <h>: Dort schreibt man <ch> und <gh>, wie in che ‘dass’ (statt fr./pt./sp. que), macchina ‘Auto’, spagghetti und funghi.

In der Herausforderung liegt natürlich eine Chance: Schüler:innen, die diese Zusammenhänge verstehen, haben auch mit der Verbalmorphologie keine Schwierigkeiten. Beispielsweise erklärt das, warum im Subjuntivo llegas zu llegues mit <gu> und tocas zu toques mit <qu> wird. Die seltenen Fälle von <ü>, also dem Buchstaben mit Trema, hebeln dieses Prinzip aus: Das Trema zeigt an, dass der Buchstabe <u> nach <g> oder <q> ausnahmsweise tatsächlich als /u/ (bzw. als Halbvokal [w]) ausgesprochen wird, wie in pinino [piŋˈɡwino], verenza [berˈɣwensa], antiedad [antiɣweˈðað] oder auch linística [liŋˈɡwistika]. Der Lautwert entspricht also nicht dem deutschen <ü>, das für den Vokal /y/ wie in übel steht.

Ein weiterer Bereich, der im Unterricht besondere Aufmerksamkeit verdient, sind die Diphthonge. Das Spanische verfügt über deutlich mehr Diphthonge als das Deutsche (ca. 12 vs. 3–4). Für deutsche Lernende ergeben sich häufig Schwierigkeiten durch Transfer aus der Erstsprache. Besonders auffällig ist das Graphem <eu>: Wörter wie Europa werden oft [ɔɪ.ˈro.pa] ausgesprochen, analog zum Deutschen Europa [ɔɪ̯.ˈʁoː.pa]. Auch deuda wird häufig fehlerhaft als [de.ˈʔu.da] realisiert, korrekt ist jedoch [ˈdew̯da]. Lehrkräfte sollten hier kontrastiv arbeiten und Lernende auf die systematische Bildung spanischer Diphthonge hinweisen. Hilfreich ist es, bekannte Wörter als Modell zu nutzen und gezielt gegen deutsche Muster (z.B. <eu>[ɔɪ]) abzugrenzen.

Konsonanten

Systematische Alternanzen: <c> vs. <u>, <g> vs. <j>

Da es mehr Konsonanten als Vokale gibt, finden sich hier natürlich mehr Abweichungen vom Ideal. Das gerade besprochene diakritische <u> wird nur benötigt, weil die Buchstaben <c> und <g> in den romanischen Sprachen (nicht nur im Spanischen!) mehr als einen Lautwert erhalten haben. ‚Eigentlich‘ stehen sie für /k/ und /g/, aber wenn ein vorderer Vokal, also /e/ oder /i/, folgt, dann repräsentieren sie per Konvention die Laute /θ/ (bzw. /s/ im seseo) und /x/. Beispiele hierfür sind hacer [aˈθeɾ] (seseo: [aˈseɾ]), cine [ˈθine] bzw. [ˈsine], gente [ˈxente], gigante [xiˈɣante].

Umgekehrt werden die Laute /θ/ (bzw. /s/ im seseo) und /x/ üblicherweise durch <z> und <j> wiedergegeben, wenn die Vokale /a o u/ darauf folgen wie in zapato [θaˈpato] bzw. [saˈpato] oder jugar [xuˈɣar].

México und zigzag: Abweichungen von der Systematik

Einige Wörter zeigen Abweichungen von der sonstigen Regel: Sie werden mit <z> geschrieben, obwohl sie vor /e i/ stehen, wo eigentlich <c> erwartbar ist, z.B. zeta, zen, nazi, kamikaze, zepelín oder enzima. Dazu gehört auch zigzag: Hier verstärkt das Zickzack des Buchstabens das Bild der Bewegung selbst, die Schreibung steht also in einem ikonischen Verhältnis zum gemeinten Konzept. Auch viele Eigennamen und ihre Ableitungen weichen ab, etwa Nueva Zelandaneozelandés, Zimbabuezimbabuense. Wer mehr über solche Fälle erfahren möchte, findet hier mehr zur Schreibung von <z>.

Eine weitere Ausnahme bildet <x> mit dem Lautwert /x/ in Eigennamen wie México, Oaxaca oder Texas. Ursprünglich notierte <x> den Laut [ʃ], der sich später zu [x] entwickelte. Im 20. Jh. empfahl die Real Academia Española zeitweise die Schreibung jico, konnte sich damit aber nicht durchsetzen. Für das Land war die Beibehaltung von <x> wichtig, weil der Buchstabe als Teil der kulturellen Identität gilt. Mehr zur Schreibung von México.

Und auch hier liegen Chancen, denn diese Kombinatorik erklärt wiederum die Alternanzen in Verbformen wie empezarempe, llegarllegué, cogercojo.

Unsystematische Alternanzen: <b> vs. <v>

Das vielleicht größte ‚Problem‘ der spanischen Orthographie liegt darin, dass dem Laut /b/ zwei Buchstaben, nämlich <b> und <v>, entsprechen. Umgekehrt gilt im Spanischen, dass beide Buchstaben exakt denselben Lautwert aufweisen und in der Aussprache keinerlei Unterschied gemacht werden sollte. Das ist gewöhnungsbedürftig, denn der Buchstabe <v> weist nicht nur im Deutschen, sondern auch in sämtlichen anderen bekannten Fremdsprachen einen eigenen Lautwert auf (meist /v/, manchmal auch /f/ wie in Vater).

Hör mal (Aussprache von <v>)

Anhand der folgenden Audios hörst Du, dass ein spanischer Modellsprecher die Wörter barón und varón genau gleich ausspricht, weil sie im Spanischen trotz der unterschiedlichen Schreibung homophon sind. Lernende neigen hingegen dazu, das <v> wie im Deutschen und anderen Sprachen auszusprechen, was im Spanischen als Aussprachefehler gilt (das Sternchen kennzeichnet den eindeutigen Fehler).

Zielaussprache:

barón [baˈɾon] – varón [baˈɾon]

Lernendenaussprache:

barón [baˈʁon] – varón *[vaˈʁon]
Audios aus MAR.ELE

Die Schwierigkeit liegt darin, dass sich Lernende von der Idee lösen müssen, dass eine Unterscheidung in der Schrift immer auch eine Unterscheidung in der Aussprache widerspiegelt.

Komplizierter wird es, wenn man bedenkt, dass das Phonem /b/ – unabhängig davon, ob es mit <b> oder <v> geschrieben wird – je nach Kontext als [b] oder approximativ als [β] ausgesprochen wird. Besonders deutlich zeigt das die Gegenüberstellung von beber [beˈβeɾ] (< lat. bibiere) und vivir [biˈβiɾ] (< lat. vivere). Am Wortanfang wird in beiden Wörtern [b] ausgesprochen, zwischen Vokalen jedoch [β] (vgl. Kapitel Aussprache). Die Schreibung spiegelt hier nicht die Aussprache wider, sondern erklärt sich durch die lateinische Schreibung.

Die vielen Zweifel, die hier aufkommen können, betreffen nicht nur den Unterricht des Spanischen als Fremdsprache, sondern sind auch in der spanischen Sprachgemeinschaft verbreitet, wo teils noch bis heute (von schlecht informierten Lehrenden) unterrichtet wird, dass der Buchstabe <b> eigentlich ein /v/ repräsentiere, auch wenn die Aussprache nicht mehr üblich wäre. Selbst gebildete Erstsprachler:innen sprechen aufgrund dieses Irrtums gelegentlich [v] aus, wenn sie gebeten werden, einen Text vorzulesen. Wenig hilfreich war, dass dieser Irrtum sogar noch bis ins 20. Jahrhundert hinein in den Orthographie-Traktaten der Real Academia Española behauptet und von dort in Schulbücher übernommmen wurde. So kommt es immer wieder zu einem Phänomen, das man als spelling pronunciation bezeichnet, d.h. eine Aussprache, die sich eng an der Schreibung orientiert und deshalb von der Norm abweicht bzw. zu Hyperkorrekturen führt.

Gibt es den Laut /v/ im Spanischen?

Aus linguistischer und historischer Perspektive lässt sich feststellen, dass lediglich strittig ist, seit wann die Unterscheidung zwischen /b/ und /v/, die es im Lateinischen gab, zugunsten von /b/ aufgegeben wurde. Vermutlich bereits in der zu Zeiten des römischen Reiches in der Hispania gesprochenen lateinischen Varietät, vielleicht aber auch erst im Altspanischen. Tatsache ist jedenfalls, dass es das Phonem /v/ im Spanischen nicht gibt und entsprechende Aussprachen nur als Regionalismen vorkommen, etwa in Katalonien, wo es zu Interferenzen mit dem Katalanischen kommt und die regionale Aussprachenorm folglich von der nationalen Standardaussprache abweicht.

Die Herausforderung liegt also darin, den Schüler:innen von Beginn an beizubringen, dass die Buchstaben <b> und <v> immer für /b/ stehen.

Stummer Buchstabe: <h>

Ein reiner Anfängerfehler ist bekanntlich das im Spanischen geschriebene, aber immer ‚stumme‘ <h> auszusprechen. Der Buchstabe hat also keinen Lautwert, weder am Wortanfang (z.B. hay, hombre), noch innerhalb des Wortes (z.B. deshonra, prohibir). Das <h> ist dabei manchmal etymologisch motiviert, wie in haber (< lat. habēre) oder hombre (< lat. hominem), manchmal wurde es zur Differenzierung von uneindeutigen Lautwerten vor Diphthongen eingeführt wie in hueso (< lat. ossium/ossum) oder es dient zur Kennzeichnung des Silbenbeginns wie in cacahuete. In jedem Fall bleibt es stumm. Wer mehr über das <h> im Spanischen wissen möchte, als die Schüler:innen wissen müssen, erfährt hier mehr.

‚Unspanische‘ Buchstaben: <w> und <k> in Lehnwörtern

Die Buchstaben <w> und <k> gehören zwar zum Alphabet, sind aber keine genuinen Grapheme des Spanischen. Sie erscheinen fast ausschließlich in Fremdwörtern und Eigennamen, etwa in whisky, windsurf, wifi, Wagner, kilo oder kayak. <k> wird dabei immer als /k/ ausgesprochen, <w> je nach Ursprung als [b] (Wagner), [w] (wifi, windsurf) oder [güi] (whisky, Washington, Wellington). Am Beispiel whisky zeigt sich, dass Versuche einer konsequenten Anpassung der Graphie (güisqui) oft scheitern, weil viele Sprecher:innen an die internationale Schreibweise gewöhnt sind.

Wer Genaueres über die Schreibung von <w> und <k> im Spanischen erfahren möchte, findet hier und hier weitere Informationen und Beispiele. Für den Unterricht genügt der Hinweis, dass es sich um Randphänomene handelt, die nur bei Nachfrage kurz erklärt werden müssen.

Akzentuierung: gesprochen und geschrieben

Neben den beschriebenen Laut-Buchstaben-Korrespondenzen gibt es im Spanischen noch eine weitere zentrale Besonderheit: die Betonung von Silben. Sie ist in der Aussprache wichtig und wird durch die Orthographie in nahezu perfekter Weise gekennzeichnet. Wer das Regelsystem einmal richtig verstanden hat, muss hier nie wieder Fehler machen.

Wortakzent

Die spanischen Wörter número, numero und numeró bestehen zwar aus denselben Lauten (auf segmentaler Ebene), werden aber unterschiedlich ausgesprochen. Entscheidend ist, auf welcher Silbe die Betonung liegt: bei número auf der ersten, bei numero auf der zweiten, bei numeró auf der dritten Silbe. Man spricht hier vom Wortakzent, der erst im Vergleich der Intensität, mit der die einzelnen Silben artikuliert werden, erkannt werden kann – daher handelt es sich um ein suprasegmentales Phänomen.

Das Beispiel macht deutlich, dass der Wortakzent bedeutungsunterscheidend sein kann, also phonologisch relevant ist. Insbesondere in der Verbalflexion dient er als wichtiges lautliches Unterscheidungsmerkmal, um grammatische Kategorien wie Zeitform oder grammatische Person zu kennzeichnen wie in hablo (‘ich spreche’) und habló (‘er/sie/es sprach’).

Wichtig ist folglich, die betonte Silbe eines Wortes zu kennen. Im Spanischen ist das in rund 80 % aller Wörter die vorletzte Silbe. Nur in etwa 17 % wird auf der letzten Silbe und nur in etwa 3 % auf der dritt- oder viertletzten Silbe betont.

Betonung im Sprachvergleich

Damit unterscheidet sich das Spanische beispielsweise vom Italienischen, wo zwar ebenfalls die vorletzte Silbe überwiegt, aber auch die vorvorletzte Silbe sehr häufig betont wird. Im Französischen fällt der Wortakzent hingegen fast immer auf die letzte Silbe der jeweiligen Wortgruppe.

Die häufigste Struktur – Betonung auf der vorletzten Silbe – betrifft beinahe immer Wörter, die auf Vokal, n oder s enden (casa, joven, lunes). Umgekehrt gilt: Wörter mit Betonung auf der letzten Silbe enden fast immer auf andere Konsonanten (reloj, doctor). Anders als im Deutschen lässt sich in den meisten Fällen also an der Endung der Wörter erkennen, welche der Silben betont wird. Das System ist also hochgradig regelmäßig. Auch bei bisher unbekannten Wörtern können Lernende sie somit sofort korrekt betonen. Es gibt aber – wie immer – ein paar Ausnahmen, doch zum Glück werden diese Ausnahmen im Spanischen immer mithilfe des geschriebenen Akzents, der Tilde, markiert. Wer also die Regeln der graphischen Markierung verinnerlicht hat, liegt bei der Aussprache immer richtig.

Die Tilde – der orthographische Akzent

Die Tilde kommt ins Spiel, wenn ein Wort von diesen Regularitäten abweicht. So wird etwa in numeró die letzte Silbe betont, obwohl das Wort auf einen Vokal endet. Auch difícil trägt eine Tilde: Es wird auf der vorletzten Silbe betont, endet aber auf -l und damit nicht auf Vokal, n oder s. Wörter mit Betonung auf der dritt- oder viertletzten Silbe (matemática, dígamelo) müssen grundsätzlich markiert werden. Dieses System ist genial, weil es nach einfachen, klaren Regeln funktioniert und zugleich ökonomisch ist: Im Normalfall braucht es keine Markierung, nur die Ausnahmen sind gekennzeichnet.

Neben der graphischen Markierung des Wortakzents dient die Tilde auch zur Unterscheidung von gleichlautenden Wörtern, etwa (‘ich weiß’) vs. se (Reflexivpronomen) oder (betontes Personalpronomen) vs. mi (Possessivbegleiter).

Reformen der spanischen Orthographie? Nur im Detail!

Wenn die spanische Orthographie in den letzten Jahrzehnten reformiert worden ist, dann vor allem in Bezug auf Akzentsetzungen, die homophone Wörter unterscheiden soll. In älteren Texten, manchmal noch heute in konservativen Schreibungen, finden sich also noch Akzente, die nach heutigen Regeln nicht mehr gesetzt werden: Abgeschafft wurde z.B. der Akzent auf solo, der früher zwischen solo ‘allein’ und sólo ‘nur’ differenzierte, oder die Akzente auf Demonstrativa wie este oder esa zur Unterscheidung von éste/ése/aquéllo als betonte Demonstrativpronomen von den adjektivischen Verwendungen in este señor, esa mujer, aquel día.

Tipps zur graphischen Akzentsetzung im Spanischen

  1. Teile das Wort in Silben
  2. Höre, welche Silbe betont ist
  3. Wenn die letzte Silbe betont ist
    • Endet auf Konsonant (außer n oder s) → keine Tilde
    • Endet auf Vokal, n oder s → Tilde
  4. Wenn die vorletzte Silbe betont ist
    • Endet auf Konsonant (außer n oder s) → Tilde
    • Endet auf Vokal, n oder s → keine Tilde
  5. Ist die dritt- oder viertletzte Silbe betont → immer Tilde

Einheit der Orthographie und Variation in der Schreibung

Orthographien variieren viel weniger als die gesprochene Sprache, denn ihre Aufgabe ist es, überregionale Einheitlichkeit in der Kommunikation sicherzustellen. Orthographien werden über die Schule tradiert, egal ob für Erstsprachler:innen oder Fremdsprachenlernende. Und da Rechtschreibung von allen Menschen erst (mühsam) erlernt werden muss, lehnen die meisten, die es einmal geschafft haben, Änderungen an den Schreibkonventionen meist ab, selbst dann, wenn sie sinnvolle Vereinfachungen für die nächste Generation versprechen. Als ‚Oberfläche‘ der Schriftsprache ist die Orthographie daher in besonderem Maße konservativ – egal in welcher Sprache. Die spanische Sprachkultur gilt zwar als vergleichsweise reformfreudig, selbst in der Orthogrpahie; an den Laut-Buchstaben-Korrespondenzen wurde aber auch hier seit der Festlegung im frühen 19. Jahrhundert nichts mehr verändert. Als heutiges Symbol der panhispanischen Einheit ist sie für die gesamte spanischsprachige Welt einheitlich und verbindlich. Und dennoch: In einigen wenigen Bereichen lässt sie Variation zu.

Man schreibt so, wie in Kastilien gesprochen wird

Die spanische Orthographie ist zwar nah an der Aussprache, aber die Aussprache ist in der spanischsprachigen Welt natürlich nicht einheitlich (siehe Aussprachevariation). Je nachdem, wessen Aussprache man zugrunde legt, kann die Orthographie also doch etwas ‚tiefer' sein (d.h. nicht Lautung oder nicht die eigene Aussprache abbilden) und damit auch etwas schwieriger zu erlernen. Die spanische Orthographie bildet auch heute noch die traditionelle Aussprache Kastiliens ab, die im Vergleich mit anderen Varietäten ein sogenanntes ‚Maximalsystem' aufweist, da dort /s/ und /θ/ sowie /ʎ/ und /ʝ/ unterschieden werden (bzw. wurden, da sich der yeísmo ja generalisiert hat). Zwar sind weltweit die allermeisten Sprecher:innen seseantes und selbst in Kastilien gibt es heute kaum noch yeístas, aber die Orthographie spiegelt nicht den Usus der Mehrheit wider. Für die meisten Sprecher:innen entspricht die graphische Unterscheidung zwischen <s>, <z>, <c> (vor e und i) sowie zwischen <ll> und <y> also nicht der eigenen Aussprache (und ist somit eine potenzielle Fehlerquelle). Frühere Reformversuche und alternative ‚amerikanische' Orthographien sind gescheitert oder wurden wieder aufgegeben. Heute gilt die Orthographie allen spanischsprachigen Ländern als Symbol der Einheit, während Aussprache, Wortschatz und Grammatik plurizentrisch variieren.

Wortvarianten

Auch wenn die spanische Orthographie im Kern sehr regelmäßig ist, gibt es Bereiche, in denen mehrere Schreibungen nebeneinander bestehen. Das betrifft einerseits gelehrte Wörter mit konservierter Schreibung, andererseits die Integration von Fremdwörtern, wo es auch Schreibungen (und Betonungen) geben kann, die sich je nach Land unterscheiden.

Gelehrte Wörter: Lautwandel im Wortschatz

In gelehrten oder aus dem Lateinischen übernommenen Wörtern hat die Schreibung ältere Lautzustände konserviert. So stehen Varianten wie oscuro / obscuro oder sétimo / séptimo nebeneinander, wobei die kürzere Form dem heutigen Sprachgebrauch entspricht. Auch Konsonantengruppen wie <ps-> oder <pt-> bleiben in der Schreibung erhalten (psicología, ptolemaico), obwohl sie in der Aussprache reduziert sind. Die Orthographie sichert hier die Kontinuität mit dem lateinischen Ursprung, auch wenn der Lautwandel längst abgeschlossen ist.

Fremdwörterintegration

Bei Fremdwörtern zeigt sich die größte Flexibilität. Manche Wörter wurden im Spanischen unterschiedlich integriert, sodass Schreibvarianten mit und ohne Akzent nebeneinander bestehen. Beispiele sind fútbol / futbol, chófer / chofer oder vídeo / video. Der Unterschied betrifft die Markierung der betonten Silbe: In einigen Varietäten wird die Betonung durch eine Tilde verdeutlicht, in anderen nicht. Welche Form bevorzugt wird, hängt oft vom Land oder von der Tradition einzelner Regionen ab. Damit zeigt sich, dass die spanische Orthographie auch hier Raum für Variation lässt und den Sprachgebrauch in verschiedenen Teilen der hispanischen Welt widerspiegelt.

Für den Unterricht ist wichtig zu wissen, dass beide Formen als korrekt gelten. Lehrkräfte können Lernende darauf hinweisen, dass regionale Präferenzen bestehen und dass in Wörterbüchern wie dem Diccionario de la lengua española (DLE) die bevorzugte und alternative Form transparent verzeichnet ist. So kann Unsicherheit im Umgang mit verschiedenen Schreibweisen vermieden werden.

Wie erkennt man gültige Varianten im Wörterbuch?

Im Diccionario de la lengua española (DLE) wird die übliche Form als Lemma angegeben. Alternative Schreibweisen erscheinen im Eintrag mit dem Hinweis „también“. Auf diese Weise wird deutlich, dass beide Formen korrekt sind, auch wenn eine als die bevorzugte Normform gilt.
Beispiel: Beim Lemma video findet sich die Angabe „también vídeo“.


Wir fassen noch einmal zusammen

Die spanische Orthographie gilt als regelmäßig, doch einige Punkte verdienen besondere Aufmerksamkeit:

  • Die Graphem-Phonem-Korrespondenzen sind weitgehend eindeutig. Nur wenige Ausnahmen wie <b> vs. <v> (beide /b/), stummes <h> oder die alternativen Grapheme für /x/ (<j> und <g> vor e, i) müssen gelernt werden.

  • Der Wortakzent ist zentral: Er wird aber immer nur dann durch die Tilde (´) markiert, wenn er nicht dem häufigsten Betonungsmuster folgt. Wer die Regeln kennt, macht nie Fehler.

Für den Unterricht bedeutet das: Lernende können sich weitgehend auf das „Schreibe, wie du sprichst“-Prinzip verlassen. Gleichzeitig lohnt es sich, auf die systematischen Ausnahmen hinzuweisen, um orthographische Sicherheit zu fördern. Zweifelsfälle kann man als Lehrkraft mithilfe der online frei verfügbaren Wörterbuchressourcen (DLE, DPD) schnell und leicht klären.

Wer mehr wissen will (klickt hier)

Das grundlegende Referenzwerk ist die Ortografía de la lengua española (OLE 2010) der Real Academia Española und der Asociación de Academias de la Lengua Española. Sie ist vollständig online verfügbar und bündelt alle Regeln, erläutert Sonderfälle und gibt Hinweise zu Fremdwörtern und Varianten. Ergänzend informiert das Diccionario panhispánico de dudas (RAE/ASALE 2005) über orthographische Zweifelsfälle, während das Diccionario de la lengua española (DLE) auch alternative Schreibungen angibt (s.o.).

Für einen historischen und systematischen Überblick sind Meisenburgs Studien zu den romanischen Schriftsystemen (1996) besonders empfehlenswert. Tacke (2020) gibt eine aktuelle Gesamtdarstellung zu Orthographie und Orthoepie (Standardaussprache) im Spanischen. Einen praxisorientierten Zugang bietet Martínez de Sousa (2014) mit seinem Manual de estilo de la lengua española. Nützlich sind außerdem die digitalen Beratungsangebote der RAE und der Fundéu (www.fundeu.es), die laufend neue orthographische Empfehlungen bereitstellen.

Für die Unterrichtspraxis besonders hilfreich ist das MAR.ELE-Korpus (Tacke 2023ff.). Es dokumentiert die Aussprache von Lernenden des Spanischen und erlaubt den direkten Vergleich mit Modellsprecher:innen. So lässt sich u.a. auch das Phänomen der spelling pronunciation anschaulich nachvollziehen (vgl. oben unter „Hör mal“).


Literatur

  • Martínez de Sousa, José (³2014): Ortografía y ortotipografía del español actual. Gijón: Trea. Online: http://www.martinezdesousa.net/
  • Meisenburg, Trudel (1996): Romanische Schriftsysteme im Vergleich. Eine diachrone Studie. Tübingen: Narr.
  • Real Academia Española / Asociación de Academias de la Lengua Española (2010): Ortografía de la lengua española. Madrid: Espasa. Online: https://www.rae.es/ortografía
  • Real Academia Española / Asociación de Academias de la Lengua Española (2005): Diccionario panhispánico de dudas. Madrid: Santillana. Online: https://www.rae.es/dpd/
  • Real Academia Española (online): Diccionario de la lengua española (DLE). Online: https://dle.rae.es
  • Tacke, Felix (2020): „Spanish: Orthography and Orthoepy“. In: Lebsanft, Franz / Tacke, Felix (Hg.): Manual of Standardization in the Romance Languages. Berlin/Boston: De Gruyter, 559–579.
  • Tacke, Felix (2023ff.): MAR.ELE – Corpus sobre la pronunciación del español por aprendientes de ELE en Marburg. Marburg. Online: https://marele.online.uni-marburg.de

Dieses Kapitel zitieren

Tacke, Felix / Merte, Marlon (2025): „Orthographie“. In: Tacke, Felix (Koord.): Spanische Linguistik @ School. Marburg: Universität Marburg. Online: https://linguistik.online.uni-marburg.de/ DOI: 10.5281/zenodo.15348687

Auch nutzbar nach CC BY-SA 4.0-Lizenzregeln.


  1. Autor:innen: Felix Tacke, Marlon Merte

    Beiträge & Peer Review: Mariana Prukop, Gloria Gabriel, Lea-Marie Domin

    Letzte Änderung: 02.09.2025