6 Herkunftssprachen1¶
Vom Türkischen bis zum Polnischen: Wie Sprachenvielfalt den Spanischunterricht bereichert¶
Wer eine Spanischklasse unterrichtet, kennt das Phänomen: Während einige Schüler:innen scheinbar mühelos das ‚gerollte R‘ sprechen, tun sich andere schwer damit. Solche Unterschiede sind kein Zufall – sie spiegeln wider, dass jede:r Lernende seine eigene sprachliche Biographie und unterschiedliche Herkunftssprachen mitbringt. Neben dem Deutschen als Erstsprache weist das Klassenzimmer von heute eine große Vielfalt an weiteren Erstsprachen auf. Für die individuelle Lernkurve im Fremdsprachenunterricht können diese Herkunftssprachen dabei nicht nur beim ‚gerollten R‘ einen Vorteil darstellen, wenn man sie als Lehrkraft zu berücksichtigen weiß. Umgekehrt kann es aber auch besondere Herausforderungen geben – etwa beim Erlernen der Artikelverwendung –, auf die man möglicherweise zum Wohle der Gemeinschaft etwas mehr eingeht.
Herkunftssprachen und Mehrsprachigkeit werden im Schulalltag jedoch noch zu häufig als Hürde oder gar ‚Manko‘ wahrgenommen. Dabei spricht die Fachdidaktik seit Jahren vom mehrsprachigen Klassenzimmer – einer Lernumgebung, in der die Vielfalt der Schüler:innensprachen als integraler Bestandteil des Unterrichts gesehen wird. Nur selten wird jedoch konkret aus linguistischer Perspektive beleuchtet, welche sprachstrukturellen Ressourcen hier schlummern. Dieses Kapitel nimmt genau diesen Perspektivwechsel vor: Wir blicken spezifisch auf die Herkunftssprachen der Lernenden, vergleichen ihre Strukturen mit dem Deutschen und mit dem Spanischen und machen erkennbar, wo echte Chancen liegen und wo Sensibilität gefragt ist. Die Vorteile liegen auf der Hand: Wertschätzung der mitgebrachten Sprachen kann Motivation stärken und sowohl die Beziehung zwischen Lehrkraft und Lernenden, als auch zwischen den Lernenden selbst fördern. Gleichzeitig eröffnet sie didaktische Möglichkeiten, zum Beispiel beim Vergleichen von Artikulation und grammatikalischen Strukturen und beim gezielten Erklären von Verwechslungen und typischen Fehlern.
Für einen gewinnbringenden Umgang mit Mehrsprachigkeit ist es dabei keineswegs notwendig, jede Herkunftssprache zu beherrschen. Hilfreich sind jedoch sogenannte ‚strukturelle Kenntnisse‘ der verschiedenen Herkunftssprachen. Ich muss nicht Türkisch oder Polnisch sprechen können, um zu wissen, dass in diesen Sprachen kein Artikel verwendet wird; ich muss auch nicht Persisch verstehen, um damit umzugehen, dass das Verb im Persischen üblicherweise am Ende des Satzes steht – im Kontrast zum Deutschen und Spanischen. Genau hier sind Sprachtypologie und kontrastive Linguistik als wissenschaftliche Grundlagen nützlich und bieten Hilfe: Sie ermöglichen es, relevante Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den Herkunftssprachen der Lernenden und der Zielsprache Spanisch systematisch zu erkennen.
Das Kapitel bietet zunächst einen Überblick über die häufigsten Herkunftssprachen im deutschen Klassenraum und ihr Verhältnis zum Spanischen. Im Anschluss werden einige besonders relevante sprachliche Strukturen herausgegriffen, um kontrastiv zum Spanischen und zum Deutschen zu betrachten, welche Chancen oder Herausforderungen sich daraus für den Fremdsprachenunterricht ergeben.
Herkunftssprachen & Sprachfamilien¶
Unter den am häufigsten in Deutschland gesprochenen Herkunftssprachen befinden sich aktuell Türkisch (2,1 Mio.), Russisch (1,9 Mio.), Arabisch (1,4 Mio.), Polnisch (1,0 Mio.), Ukrainisch (0,7 Mio.), Kurdisch (0,6 Mio.), Italienisch (0,5 Mio.), Persisch/Farsi/Dari (0,4 Mio.) und Paschtu (0,06 Mio.). Hinzu kommt Englisch, das wir aber ausblenden, da es in der Regel als erste Fremdsprache erlernt und somit hinreichend bekannt ist. Die sprachliche Vielfalt der Gesellschaft spiegelt sich natürlich auch im Klassenraum wider. Wie stehen nun diese Sprachen aus linguistischer Perspektive zum Deutschen als Umgebungssprache und zum Spanischen als Zielsprache unseres Unterrichts?
Die folgende Karte gibt einen geographischen Überblick:
Die geographische Nähe oder Distanz sagt jedoch nur bedingt etwas über die sprachstrukturelle ‚Nähe‘ aus. In der folgenden Tabelle haben wir daher ‚Nähe‘ zum Spanischen als unserer Zielsprache im Sinne der Verwandtschaft der Sprachfamilien geordnet, der meist auch geringere oder größere ‚Nähe‘ bei den Sprachstrukturen entspricht. Das Spanische ist eine (ibero-)romanische Sprache und somit Teil der indoeuropäischen Sprachfamilie wie auch die meisten Herkunftssprachen:
| Sprache | Sprachfamilie | Verwandtschaft zum Spanischen | Migrantengruppen / Herkunft |
|---|---|---|---|
| Italienisch | Romanisch (Indoeuropäisch) | ■■■■■ | Italien |
| Deutsch | Germanisch (Indoeuropäisch) | ■■□□□ | |
| Polnisch | Westslawisch (Indoeuropäisch) | ■■□□□ | Polen |
| Russisch | Ostslawisch (Indoeuropäisch) | ■■□□□ | Russland, postsowjetische Staaten |
| Ukrainisch | Ostslawisch (Indoeuropäisch) | ■■□□□ | Ukraine |
| Bosnisch/Kroatisch/Serbisch | Südslawisch (Indoeuropäisch) | ■■□□□ | Bosnien, Kroatien, Serbien |
| Kurdisch | Indoiranisch (Indoeuropäisch) | ■□□□□ | Türkei, Syrien, Irak, Iran |
| Persisch (Farsi/Dari) | Indoiranisch (Indoeuropäisch) | ■□□□□ | Iran, Afghanistan |
| Paschtu | Indoiranisch (Indoeuropäisch) | ■□□□□ | Afghanistan, Pakistan |
| Türkisch | Turksprachen | □□□□□ | Türkei |
| Arabisch | Semitisch (Afroasiatisch) | □□□□□ | Syrien, Irak, Nordafrika |
Legende: ■■■■■ = eng verwandt, ■■□□□ = entfernt verwandt, □□□□□ = nicht verwandt
Wie man in diesen Übersichten erkennt, sind Türkisch und Arabisch nicht einmal entfernt mit dem Spanischen verwandt, Sprachen wie Kurdisch oder Persisch sind hingegen entfernte Verwandte. Nun stellt sich natürlich die Frage, was das konkret für den Spanischunterricht bedeutet. Da dies kein Lehrbuch über die einzelnen Sprachen und Sprachfamilien ist, werden wir daher im Folgenden ausgehend von den lautlichen und grammatischen Strukturen des Spanischen anschauen, welche Sprachen jeweils Ähnlichkeiten oder Unterschiede aufweisen.
Strukturen im Vergleich: Chancen & Herausforderungen¶
In diesem Abschnitt werden zentrale Eigenschaften ausgewählter Herkunftssprachen im Vergleich zum Deutschen beleuchtet. Dabei geht es sowohl um Merkmale, die das Spanischlernen erleichtern, als auch um solche, die zu typischen Stolpersteinen werden können. Für jede Eigenschaft wird knapp erklärt, wie sie im Spanischen und Deutschen ausgeprägt ist und in welchen Herkunftssprachen ähnliche oder abweichende Strukturen vorliegen.
Aussprache: Wo das Spanische (un)gewohnt ist¶
In diesem Abschnitt werden typische Ausspracheneigenheiten vorgestellt, die für Lernende mit verschiedenen Herkunftssprachen beim Spanischlernen entweder einen Startvorteil bieten oder zu ungewohnten Stolpersteinen werden können.
Gerolltes /r/: Normal in allen Herkunftssprachen¶
Wer Spanisch lernt, begegnet schon zu Beginn dem ‚gerollten R', das für Lernende mit Deutsch als Erstsprache meist eine Herausforderung darstellt, da das R im Standarddeutschen uvular (hinten) ausgesprochen wird (vgl. Kapitel Aussprache). Schüler:innen mit den hier betrachteten Herkunftssprachen – egal ob Türkisch, Kurdisch oder Italienisch – bringen hier einen klaren Startvorteil mit, denn das wird dort an der gleichen Stelle artikuliert wie im Spanischen.
Sprachvergleichend ist es sogar so, dass in der Mehrzahl der Sprachen der Welt das alveolar, also mit der Zungenspitze, artikuliert wird. Sprachen wie Deutsch und Französisch, in denen das uvular ausgesprochen wird, sind weltweit in der Minderheit.
Allerdings weist das Spanische eine Besonderheit auf – sowohl im Vergleich mit dem Deutschen als auch mit den Herkunftssprachen –, nämlich die Unterscheidung zwischen einfachem und mehrfach gerolltem , die wortintern bedeutungsunterscheidend sein kann (z.B. caro vs. carro). In den hier betrachteten Sprachen gibt es diese Unterscheidung nicht – nicht einmal im Italienischen. Vielmehr finden sich dort, je nach Dialekt oder lautlicher Umgebung, lediglich Präferenzen für einfaches Anschlagen oder mehrfaches Rollen. In manchen Sprachen, wie zum Beispiel dem Türkischen, ist das mehrfache Vibrieren sogar unüblich und muss erst erlernt werden. In jedem Fall ist aber der Artikulationsort bereits vertraut. Detailliertere Informationen zu den einzelnen Sprachen findest du im folgenden Kasten.
Mehr zum R in den Herkunftssprachen
Türkisch: Das ist stets ein Zungenspitzenvibrant (Tap), der meist einfach geschlagen wird als – unabhängig von der Wortposition. Ein mehrfach gerolltes kommt im Türkischen nicht systematisch vor.
Arabisch: In den meisten arabischen Dialekten ist ein Zungenspitzenvibrant, meist einfach, manchmal (je nach Region und Sprechstil) auch mehrfach gerollt. In manchen nordafrikanischen Dialekten gibt es Varianten mit stärkerem Trill, während das in anderen arabischen Dialekten (z.B. im Irakischen) gelegentlich verhärtet, retroflex oder leicht velarisiert ausgesprochen wird. Ein systematischer Bedeutungsunterschied wie im Spanischen besteht jedoch nicht.
Russisch, Polnisch, Ukrainisch: Das ist überwiegend ein mehrfach gerollter Vibrant, wobei die Zahl der Schläge regional und sprecherabhängig variieren kann. In schneller Rede ist auch ein Tap möglich. Bedeutungsunterscheidend ist diese Variation aber nicht.
Bosnisch/Kroatisch/Serbisch (BKS): Hier kommt es auf die Silbenstruktur an: Steht das silbisch (z.B. prst ‘Finger’), kann es mehrfach gerollt werden, in anderen Positionen reicht oft ein einfacher Tap. Auch hier spielt die Länge keine Rolle für die Bedeutung.
Kurdische Sprachen (Kurmancî, Sorani): Das wird in Kurmancî als einfacher Tap oder als kurzer Trill ausgesprochen, je nach Position und Betonung. In Sorani überwiegt der Tap.
Persisch (Farsi/Dari) und Paschtu: Das ist in beiden Sprachen meist ein Tap, selten ein kurzer Trill. Im Persischen findet sich in manchen urbanen Varietäten gelegentlich ein uvulares , das aber keine Standardaussprache darstellt.
Italienisch: In den meisten Dialekten wird als Trill ausgesprochen, oft mehrfach gerollt, besonders in betonter Stellung oder zwischen Vokalen. In Norditalien gibt es in einigen Varietäten jedoch auch einfach geschlagene Varianten, aber keine Bedeutungsunterschiede.
Fazit: In keiner der genannten Herkunftssprachen ist die Unterscheidung zwischen einfachem und mehrfach gerolltem phonematisch relevant – die genaue Realisierung hängt von Kontext, Sprechtempo oder regionaler Variation ab.
Für den Unterricht heißt das: Die Sprecher:innen dieser Sprachen können gerade zu Beginn als authentische Vorbilder für die Zungenspitzenartikulation dienen. Insbesondere für deutschsprachige Lernende, für die das spanische R eine Herausforderung bleibt, ist es lohnend, gezielt mit Vorbild- und Nachsprechübungen zu arbeiten und positives Feedback für gelungene Artikulation zu geben. Gleichzeitig ist die Unterscheidung zwischen (z.B. pero) und (z.B. perro) für alle neu. Im Kapitel Aussprache findest Du Tipps zur Einübung des R.
Kein /p/ im Arabischen: (k)eine Hürde¶
Eine Besonderheit des Arabischen ist das Fehlen des Lautes . Es gibt zwar das stimmhafte , aber kein stimmloses . Das zeigt sich besonders anschaulich am Wort baba ‘Papa’. Arabischsprechende können also dazu neigen, in Fremdsprachen das den Laut durch zu ersetzen (ohne es zu merken). So kann es für arabischsprachige Lernende anfangs ungewohnt sein, das bewusst zu bilden und von zu unterscheiden.
Solche Verwechslungen sind aber kein reines ‚arabisches‘ Phänomen: Auch im Deutschen gibt es Mundarten, in denen und nicht immer klar getrennt oder sogar systematisch ‚vertauscht‘ werden. Ein prägnantes Beispiel findet sich im Hessischen, wo Pudding oft als oder Brot als ausgesprochen wird.
Im deutschen Alltag und in anderen Sprachen begegnen arabischsprachige Schüler:innen dem aber permanent und haben meist kein Problem (mehr) mit dem Laut. Für den Unterricht reicht es oft, das Problem kurz bewusst zu machen und zum Üben zu motivieren – größere Schwierigkeiten sind selten.
Schreibung(en): andere Alphabete¶
Auch wenn es im Spanischunterricht meist nicht im Vordergrund steht, lohnt ein kurzer Blick auf die Schriftsysteme. Schriftformen unterscheiden sich nicht nur in den Zeichen selbst, sondern auch darin, wie Vokale dargestellt werden, ob Groß- und Kleinschreibung vorgesehen ist und in welche Richtung gelesen wird. Da Spanisch und Deutsch beide mit der lateinischen Schrift arbeiten, fällt der Übergang den meisten Lernenden leicht. In einzelnen Herkunftssprachen begegnen jedoch andere Alphabete, die das Lesen und Schreiben beeinflussen können.
| Alphabet | Sprachen (Beispiele) | Beispiel | Leserichtung |
|---|---|---|---|
| Lateinisch | Deutsch, Spanisch, Türkisch, Polnisch, Italienisch, Bosnisch, Kroatisch, Kurmandschi | Madrid, España | → |
| Arabischbasiert | Arabisch, Persisch, Paschtu, Sorani | مدريد، إسبانيا (madrīd, isbānyā) |
← |
| Kyrillisch | Russisch, Ukrainisch, Serbisch | Ru: Мадрид, Испания (Madríd, Ispánija) Uk: Мадрид, Іспанія (Madrýd, Ispaníja) Sr: Мадрид, Шпанија (Madríd, Španija) |
→ |
In der Praxis heißt das: Wer mit der lateinischen Schrift vertraut ist, konzentriert sich im Spanischen auf Akzente, Sonderzeichen und die sparsamere Großschreibung. Bei anderen Schriften können Richtung, Vokalmarkierung oder ungewohnte Laut-Buchstaben-Zuordnungen zusätzliche Schritte nötig machen. Für den Unterricht genügt meist eine kurze Abklärung, um diese Unterschiede gezielt und knapp aufzugreifen.
Genus: Grammatisches Geschlecht im Vergleich¶
Spanische Substantive werden in zwei Genera eingeteilt: maskulin und feminin. Ein Neutrum, wie es im Deutschen existiert, kennt das Spanische nicht. Das Genus eines spanischen Nomens oder Adjektivs lässt sich häufig durch den Endvokal erkennen und wird außerdem durch den Artikel gekennzeichnet (im Unterschied zum Deutschen ist das Genus auch in den Pluralformen erkennbar: los vs. las). Die Faustregel im Spanischen lautet, dass alle auf -o endenden Wörter maskulin und (fast) alle auf -a endenden Wörter feminin sind. Auf die Ausnahmen (la mano, la foto, el artista) muss hier nicht eingegangen werden.
Geschlecht, Genus, Gender: Was bezeichnet was?
Im Deutschen werden drei verschiedene Konzepte unterschieden, die oft durcheinandergeraten:
- Geschlecht (lat. sexus) bezeichnet das biologische oder soziale Geschlecht von Personen und Lebewesen.
- Genus ist eine grammatische Kategorie von Substantiven. Im Deutschen gibt es drei Genera (maskulin, feminin, neutrum), die nicht zwingend mit dem natürlichen Geschlecht übereinstimmen (z.B. das Mädchen ist grammatisch Neutrum, biologisch weiblich).
- Gender bezeichnet die soziale Dimension von Geschlecht, also Rollenbilder und Identitätskategorien in Gesellschaft und Kultur.
Für den Sprachunterricht ist deshalb wichtig: Wenn wir von „maskulin“ und „feminin“ sprechen, meinen wir Genus als grammatische Kategorie – und nicht automatisch das biologische oder soziale Geschlecht.
Für Lernende mit deutscher Erstsprache stellt das Genussystem keine Schwierigkeit dar, zumal nur zwei Genera zu unterscheiden sind. Lediglich bei den auf Konsonant endenden Wörtern muss man sich das Genus eigens einprägen.
Schüler:innen mit den hier betrachteten Herkunftssprachen bringen in dieser Hinsicht jedoch andere Ausgangsvoraussetzungen mit. Während es im Italienischen genau wie im Spanischen funktioniert, weisen Sprachen wie Türkisch überhaupt kein grammatisches Genus auf. Auch im Persischen und im kurdischen Dialekt Sorânî fehlt die Kategorie, sodass Lernende das spanische Genus-System völlig neu erwerben müssen.
Eine Zwischenstellung nehmen Sprachen wie Arabisch, Kurmancî oder Paschtu ein: Sie kennen zwar zwei Genera, markieren diese aber auf andere Weise und mit weniger klaren Endungen als das Spanische. Für Sprecher:innen slawischer Sprachen wie Russisch, Polnisch, Ukrainisch oder Bosnisch/Kroatisch/Serbisch ist Genus dagegen ein vertrautes Konzept – dort existieren sogar drei Genera.
Für den Unterricht heißt das: Lernende ohne Genus in ihrer Erstsprache (z.B. Türkisch, Persisch, Sorânî) benötigen eine besonders klare und systematische Einführung, da ihnen die gesamte Kategorie fehlt. Hier helfen Visualisierungen (z.B. Farbcodes für maskuline und feminine Endungen), wiederholte Zuordnungsübungen und der bewusste Vergleich mit dem Deutschen.
Lernende, deren Herkunftssprachen bereits über ein Genussystem verfügen – sei es mit zwei Genera wie im Arabischen, Kurmancî, Paschtu oder Italienischen, oder mit drei Genera wie in den slawischen Sprachen – bringen ein grundsätzliches Verständnis mit und können dieses vergleichsweise leicht auf das Spanische übertragen, auch wenn sie sich an andere Markierungsweisen gewöhnen müssen.
Insgesamt profitieren alle Gruppen von kontrastiven Vergleichen: Je vertrauter ihnen das Konzept der Genera ist, desto schneller gelingt der Transfer; je fremder es ist, desto wichtiger sind explizite Übungen und konsequente Rückmeldungen.
Sprachen ohne Artikel¶
Da man sowohl im Spanischen als auch im Deutschen Artikel verwendet, macht man sich womöglich wenig Gedanken darüber, dass es Sprachen gibt, in denen es keine Artikel gibt – weder bestimmte noch unbestimmte (wer Latein gelernt hat, mag sich erinnern!).
Schüler:innen mit deutscher Erstsprache haben es nicht besonders schwer: Lediglich die Formen (und Verbindungen mit Präpositionen wie „a + el“) sind zu erlernen. Die Verwendung der Artikel ist bis auf wenige Ausnahmen wie im Deutschen und die Funktionen, die zwischen bestimmten und unbestimmten Artikeln unterscheiden lassen, sind daher meist intuitiv klar (auch wenn die meisten sie gar nicht benennen können).
Was leisten Artikel eigentlich?
Artikel zeigen an, ob ein Substantiv im Diskurs neu oder bekannt ist – man spricht von Definitheit.
- Unbestimmte Artikel (ein, eine / un, una) kennzeichnen Referenten, die im Gespräch neu eingeführt oder nicht näher bestimmt sind.
Ich sehe einen Hund → ein Hund, der bisher nicht erwähnt wurde. - Bestimmte Artikel (der, die, das / el, la) verweisen auf Referenten, die im Diskurs bereits bekannt sind oder als eindeutig identifizierbar gelten.
Ich sehe den Hund → der Hund ist allen Beteiligten bekannt oder wurde schon genannt.
Sprachen ohne Artikel (Lateinisch, Russisch, Türkisch) drücken Definitheit ebenfalls aus – etwa durch Wortstellung, Kasus oder Kontext –, jedoch nicht durch eigenständige Artikelwörter.
Sprachvergleichend zeigt sich: Artikel sind keineswegs in allen Sprachen selbstverständlich. In einigen Herkunftssprachen (z.B. Italienisch) gibt es bestimmte und unbestimmte Artikel, deren Gebrauch dem Spanischen stark ähnelt. Lernende haben hier kaum Umstellungsprobleme, müssen aber einzelne Formen und Verschmelzungen neu einüben.
Andere Sprachen wie z.B. Arabisch kennen zwar einen Artikel, dieser ist jedoch unveränderlich, unterscheidet nicht nach Genus oder Numerus und es fehlt ein unbestimmter Artikel. Für arabischsprachige Lernende bedeutet das: Der bestimmte Artikel ist vertraut, die Kategorie der Unbestimmtheit muss neu gelernt werden.
Wieder andere Sprachen, darunter Kurdisch und Persisch, markieren Bestimmtheit und Unbestimmtheit nicht mit eigenständigen Wörtern, sondern mit Suffixen oder anderen Mitteln. Hier ist das Prinzip der Definitheit bekannt, die Form der Umsetzung aber grundlegend anders.
Darüber hinaus gibt es eine größere Gruppe von Herkunftssprachen, konkret Türkisch, Russisch, Polnisch, Bosnisch/Kroatisch/Serbisch, die überhaupt keine Artikel kennen. In diesen Sprachen übernehmen Kasusendungen, Aspektformen oder Zahlwörter die Funktionen, die im Spanischen durch Artikel geleistet werden.
Mehr zu Artikeln in den Herkunftssprachen
Türkisch: Es gibt keine Artikel. Definitheit und Indefinitheit werden durch Wortstellung, Suffixe und den Kontext angezeigt. Ein unbestimmtes „eins“ (bir) kann indefinit wirken, ist aber kein grammatischer Artikel. Der Erwerb spanischer Artikel bedeutet also den Aufbau einer völlig neuen Kategorie.
Arabisch: Es existiert nur ein bestimmter Artikel al-, der unveränderlich ist und nicht nach Genus oder Numerus flektiert. Ein unbestimmter Artikel fehlt; Unbestimmtheit wird im klassischen Arabisch teils durch Endungen (Tanwīn) angezeigt, in den meisten modernen Dialekten durch bloßes Weglassen des Artikels. Für Lernende ist die Kategorie „bestimmt/unbestimmt“ vertraut, aber die flektierenden Formen des Spanischen sind neu.
Russisch, Polnisch, Ukrainisch: Artikel fehlen vollständig. Definitheit und Indefinitheit werden durch Kasus, Aspekt (Perfektiv/Imperfektiv), Wortstellung oder Zahlwörter (odin/odna/odno = „eins“) ausgedrückt. Spanische Artikel müssen also als eigenständige grammatische Wörter neu erlernt werden.
Bosnisch/Kroatisch/Serbisch (BKS): Kein Artikelsystem. Wie in anderen slawischen Sprachen übernehmen Kasusendungen und Kontext die Funktionen der Definitheitsmarkierung. Spanische Artikel stellen daher eine neue Kategorie dar.
Kurdische Sprachen:
- Kurmancî: hat einen artikelfunktionalen Unbestimmtheitsmarker -ek; Definitheit wird überwiegend durch Demonstrativa (z.B. ev/ew) und den Kontext, nicht durch Kasus, angezeigt.
- Sorânî: Suffixe markieren Definitheit (-eke) bzw. Unbestimmtheit (-êk).Diese fungieren artikelähnlich, sind aber gebundene Morpheme, keine freien Wörter. Für Lernende ist das Prinzip der Definitheit vertraut, aber die Umstellung auf selbständige Artikelwörter im Spanischen erfordert Anpassung.
Persisch (Farsi/Dari): Kein bestimmter Artikel. Unbestimmtheit wird durch das Zahlwort yek (‘eins’) oder ein suffigiertes -i markiert. Definitheit ergibt sich meist aus dem Kontext oder durch Demonstrativpronomen. Spanische Artikel sind somit eine neue Struktur, auch wenn das Konzept der Indefinitheit vertraut ist.
Paschtu: Es gibt keinen Artikel; Definitheit entsteht vor allem durch Demonstrativa und den Kontext. Possessivmarker kennzeichnen Besitzverhältnisse, ersetzen jedoch keinen allgemeinen Definitheitsmarker. Es existiert also keine direkte Entsprechung zu den spanischen Artikeln, aber funktionale Ähnlichkeiten über andere Marker.
Italienisch: Bestimmte Artikel (il, lo, la, l’, i, gli, le) und unbestimmte Artikel (un, uno, una, un’). Das System ist dem Spanischen sehr ähnlich, nur mit mehr Allomorphen. Auch Verschmelzungen mit Präpositionen sind in beiden Sprachen üblich. Italienischsprachige Lernende haben daher klare Vorteile.
Für den Unterricht heißt das: Je stärker das Herkunftssystem dem Spanischen ähnelt, desto leichter gelingt der Transfer. Romanische Sprachen bringen klare Vorteile mit. Lernende aus Sprachen mit funktionalen Entsprechungen (z.B. Arabisch, Kurdisch, Persisch) benötigen gezielte Kontrastübungen, um die Formunterschiede zu verinnerlichen. Für Sprecher:innen aus Sprachen ohne Artikel ist die Kategorie selbst neu. Die korrekte Verwendung von Artikeln stellt daher eine besonders große Herausforderung dar (und das nicht nur im Spanischen, sondern auch im Deutschen und in anderen Fremdsprachen).
Mit Blick auf diese Herkunftssprachen braucht es also systematische Einführung, viel Übung und konsequentes Feedback, um den Artikelgebrauch zu automatisieren.
(Yo) aprendo español: Wie Person markiert wird¶
In jeder Sprache muss erkennbar sein, wer handelt: ich, du, er/sie. Dafür gibt es verschiedene Mittel. Manche Sprachen zeigen die Person hauptsächlich an der Verbendung, andere brauchen zusätzlich ein Subjektpronomen. Deutsch und Französisch gehören zur zweiten Gruppe: ich gehe, du gehst, er/sie geht, j'aime, tu aimes, il aime – die Endung allein reicht teilweise nicht aus (bei den französischen Verben hört man oft keinerlei Unterschied!), daher ist das Pronomen immer dabei.
Im Spanischen ist es anders. Jede Person hat ihre eigene Verbendung, und diese Unterschiede sind auch in der Aussprache gut hörbar: hablo, hablas, habla, hablamos, habláis, hablan. Das Pronomen wird nur ausnahmsweise genannt, nämlich wenn etwas besonders hervorgehoben werden soll, zum Beispiel in Ella canta, yo no (‘Sie singt, ich nicht’). Für Lernende bedeutet das: Die Verbendung genügt, Pronomen erscheinen nur selten zur Hervorhebung.
Mit (ohne) Subjektpronomen in der Linguistik
Sprachtypologisch gibt es verschiedene Wege, die handelnde Person zu markieren: durch Verbendungen, durch Klitika, durch Subjektpronomen oder durch den Kontext im Diskurs. In vielen Sprachen sind Pronomen deshalb nicht obligatorisch.
Für das Phänomen, dass keine Subjektpronomen vorkommen, ist in der Linguistik der Fachbegriff Pro-Drop etabliert. Er geht auf die Generative Grammatik zurück, wo von einem „leeren Pronomen“ im Satzinneren ausgegangen wird. Der Name legt nahe, dass Pronomen der Normalfall seien und dann „fallen gelassen“ werden – eine Sichtweise, die die tatsächliche Vielfalt verkürzt und zudem unplausibel ist: Sprachen ohne Subjektpronomen sind keine Ausnahme, sondern sehr zahlreich, und Subjektpronomen entwickeln sich historisch oft erst später (z. B. im Französischen, da dort die Verbendung die Funktion der Personenmarkierung nicht mehr durchgängig erfüllen kann).
Heute spricht man daher eher davon, ob und wie Sprachen Subjektinformation ausdrücken: konsistent über Flexion, diskursgesteuert oder nur partiell. Pro-Drop ist also vor allem ein etabliertes Schlagwort.
Viele Herkunftssprachen der Lernenden verhalten sich ähnlich wie das Spanische. Italienisch, Bosnisch/Kroatisch/Serbisch, Türkisch, Arabisch und Persisch markieren die Person an den Verbendungen; Pronomen sind dort nicht zwingend. In den ostslawischen Sprachen ist das Bild gemischter: Im Ukrainischen kann das Pronomen oft entfallen, im Russischen etwas seltener. Unterschiede zeigen sich auch im Kurdischen (Sorani), wo die Person durch feste Markierungen am Verb angezeigt wird, die wie obligatorische Pronomen wirken, und im Paschtu, wo reduzierte Endungen dazu führen, dass Pronomen in der gesprochenen Sprache häufiger gebraucht werden.
Mehr Details zu einzelnen Sprachen
Italienisch. Subjektpronomen optional, Person an der Endung. Beispiel: parlo ‘ich spreche’ / Io parlo (hervorgehoben).
Bosnisch/Kroatisch/Serbisch. Subjektpronomen oft weggelassen, Person an der Endung. Beispiel: pišem ‘ich schreibe’ / Ja pišem (hervorgehoben).
Türkisch. Personenaffixe am Verb lizenzieren Weglassung des Pronomens; Pronomen für Fokus. Beispiel: geldim ‘ich kam’ / Ben geldim (hervorgehoben).
Arabisch (Standard/Varietäten). Person am Verb markiert; Pronomen bei Kontrast. Beispiel Perfekt: كتبتُ ‘ich schrieb’ / أنا كتبتُ (hervorgehoben).
Persisch. Personenendungen tragen die Referenz; Pronomen optional. Beispiel: میروم ‘ich gehe’ / من میروم (hervorgehoben).
Ukrainisch. Pronomen kann entfallen, abhängig von Register und Kontext. Beispiel: пишу ‘ich schreibe’ / я пишу (hervorgehoben).
Russisch. Pronomen häufiger genannt als in Italienisch/Spanisch, kann aber entfallen. Beispiel: пишу ‘ich schreibe’ / я пишу (oft neutral).
Kurdisch (Sorani). Person durch feste Markierungen am Verb; unabhängiges Pronomen für Betonung. Beispiel: deçim ‘ich gehe’ / min deçim (hervorgehoben).
Paschtu. Personenaffixe am Verb; Pronomen tritt je nach Tempus/Aspekt häufiger oder seltener auf. Beispiel: razam ‘ich komme’ / za razam (hervorgehoben).
Für den Unterricht heißt das, Lernende müssen im Spanischen bewusst wahrnehmen, dass die Verbendung reicht und dies einüben. Viele Schüler:innen mit einer der Herkunftssprache sind hier wieder klar im Vorteil und darauf darf im Unterricht auch hingewiesen werden.
SVO oder SOV? Wortstellung im Vergleich¶
Wenn man Wortstellungen überblicksartig beschreibt, wird oft stark vereinfacht. So werden Deutsch und Spanisch beide gern als S–V–O-Sprachen bezeichnet: María escribe la carta / Maria schreibt den Brief. Diese Sicht ist nützlich für den Einstieg, doch sie verdeckt wichtige Unterschiede.
In beiden Sprachen gibt es Spielräume. Im Deutschen kann das Objekt vorangestellt werden, ohne dass die Struktur falsch wird: Den Brief schreibt Maria heute. Entscheidend ist, dass das konjugierte Verb im Hauptsatz an zweiter Stelle bleibt. Im Spanischen lässt sich ebenfalls umstellen: La carta la escribe María oder Hoy escribe María la carta. Auch hier geht es nicht um eine starre Reihenfolge, sondern um Betonung und Informationsgewicht.
Der Schlüssel liegt in der Position des Verbs: vor dem Objekt, nach dem Objekt, am Anfang, am Ende. Im Spanischen bleibt es in der Regel im Mittelfeld des Aussagesatzes (mit Ausnahmen: z.B. Llega Juan). Im Deutschen steht es im Hauptsatz an zweiter Position (z.B. Heute schreibt María die Karte) und im Nebensatz am Ende (z.B. ...weil María die Karte schreibt). Im Türkischen, Persischen, Kurdischen und Paschtu rutscht das Verb meist ganz ans Satzende (S–O–V). Für Lernende kann sich das in Übertragungen wie Yo mañana la carta escribo statt Mañana escribo la carta zeigen.
Andere Herkunftssprachen sind näher am Spanischen. Italienisch und Bosnisch/Kroatisch/Serbisch folgen im Grundmuster ebenfalls S–V–O, Russisch und Ukrainisch mit Ausnahmen ebenso. Im Standardarabischen kommt neben S–V–O zwar häufig auch V–S–O vor, aber viele Sprecher:innen sprechen eher Alltagsvarietäten, in denen S–V–O deutlich überwiegt.
Im Unterricht sollte man also sensibel sein für Unterschiede, die möglicherweise durch die Herkunftssprachen bedingt sind. Falls man die Wortstellung daher einmal zum Thema macht, lässt sich daran auch bewusst machen, dass es keine „natürliche“ oder „bessere“ Wortstellung gibt, sondern dass Sprachen weltweit zeigen, wie unterschiedlich ein und derselbe Sachverhalt grammatisch ausgedrückt werden kann.
Kasus und Präpositionen in den Herkunftssprachen¶
Statt Marias Buch (Genitiv) sagt Spanisch el libro de María. Aber viele würden im Deutschen heutzutage ohnehin eher das Buch von Maria (oder gar Maria ihr Buch) sagen. Man sieht: Solche Beziehungen und Rollen im weiteren Sinne können auf unterschiedliche Art und Weise ausgedrückt werden. Sprachen arbeiten mit Endungen, mit Präpositionen und mit Wortstellung. Das Deutsche, das Spanische und die hier betrachteten Herkunftssprachen decken dieses Spektrum in unterschiedlichen Mischungen ab.
Im Deutschen erkennt man Rollen vor allem an den Formen der Artikel und Adjektive, in denen Kasus (Nominativ, Akkusativ, Dativ, Genitiv) erkennbar ist, und an Präpositionen wie mit oder für, die jeweils bestimmte Kasusformen verlangen. Am Nomen erkennt man nur selten Kasus. So gibt es zwar Kasus im Deutschen, aber längst nicht (mehr) systematisch.
Im Spanischen haben Nomen grundsätzlich keine Kasusendungen. Rollen entstehen durch die Grundschiene S–V–O (also Subjekte stehen meist vor dem Verb, Objekte dahinter) und durch Präpositionen. Besonders wichtig sind a und de: Le doy el libro a Ana (indirektes Objekt), Veo el árbol (direktes Objekt), El libro de Juan (Zugehörigkeit). Weitere häufige Mittel sind en, para, por, con. So wird klar: Auch ohne Kasus werden dieselben Bedeutungen ausgedrückt, nur eben mit anderen Werkzeugen.
Die Herkunftssprachen bringen diesbezüglich unterschiedliche Vorerfahrungen mit. Türkisch markiert viele Rollen direkt am Nomen und verwendet Postpositionen (also durch nachgestellte Elemente); das Verb steht dabei typischerweise am Satzende. In den slawischen Sprachen wie Russisch, Ukrainisch oder Bosnisch/Kroatisch/Serbisch sorgen mehrere Kasusendungen dafür, dass in der Wortstellung mehr Möglichkeiten bestehen. Persisch verbindet Wörter meist mit einem kleinen Bindeelement (-e/-ye), das zwischen Nomen und Attribut steht, und zusätzlich mit Präpositionen; eigene Kasusendungen am Nomen gibt es heute fast nicht mehr. In arabischen Alltagsvarietäten tragen Präpositionen den Hauptteil der Rolleninformation; das Standardarabische markiert zusätzlich Kasus und Verbmodus an Endungen, die vor allem in formeller Schriftsprache und sorgfältiger Aussprache relevant sind. Paschtu und die kurdischen Varietäten kombinieren Markierungen am Verb und am Nomen mit Adpositionen (also mit beigestellen Elementen); das führt je nach Satztyp zu ganz unterschiedlichen Mustern.
Für den Unterricht heißt das: Es geht primär darum, Rollen und Beziehungen sicher zu erkennen und im Spanischen passend auszudrücken. Wichtig ist auch hier vor allem das Bewusstsein, dass Sprachen dieselben Funktionen unterschiedlich kodieren.
Empfehlungen für den Unterricht¶
Für einen erfolgreichen Spanischunterricht in sprachlich heterogenen Lerngruppen ist Sensibilisierung zentral – sowohl bei den Lehrkräften als auch bei den Schüler:innen. Das entspricht auch den Zielen zahlreicher Lehrpläne, die Sprachbewusstheit als förderwürdige Kompetenz ausweisen. Über sprachvergleichende Reflexion entsteht dabei ein neuer Zugang nicht nur zum Spanischen, sondern auch zur Herkunftssprache und zum Deutschen.
Lehrkräfte sensibilisieren: Ein grundlegendes Wissen über Herkunftssprachen und ihre Unterschiede zum Spanischen ist für Dich als Lehrkraft von großem Vorteil. Je nach den Herkunftssprachen der Schüler:innen werden ganz unterschiedliche Fehler beim Erlernen des Spanischen gemacht; umgekehrt erlernen manche Schüler:innen neue Strukturen schneller als andere.
Je mehr Du über diese Sprachen weißt, desto mehr werden solche Fehler oder Vorteile als Effekte der Mehrsprachigkeit verständlich. Im Kapitel Fehlerlinguistik wird bereits verdeutlicht, wie Fehler diagnostisch genutzt werden können: Sie legen offen, was bereits verstanden ist und wo Förderbedarf besteht. Besonders bei den Herkunftssprachen kann das Wissen über strukturelle Unterschiede – etwa Genus im Spanischen vs. kein Genus im Türkischen – helfen, Lernfortschritte gezielter zu erkennen.
Schüler:innen sensibilisieren: Sprachbewusstheit fördern heißt, Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Sprachen sichtbar zu machen. Es gibt keine besseren oder schlechteren Sprachen: Deutsch ist nicht „besser“ als Türkisch und Spanisch nicht „schlechter“ oder „besser“ als Arabisch. Sprachen erfüllen denselben kommunikativen Zweck lediglich auf unterschiedliche Weise. Reflexionsimpulse wie „Wie drückt deine Herkunftssprache Zukunft, Besitz oder Richtung aus?“ öffnen Perspektiven, ohne Expert:innenwissen zu erzwingen. Bei den Schüler:innen darf dabei aber kein „bewusstes Regelwissen“ über ihre Herkunftssprache vorausgesetzt werden. Berücksichtige zudem, dass viele Herkunftssprachen vor allem mündlich erworben wurden und die Schriftsprache und Differenzierungen, die (nur) dort vorkommen, möglicherweise unbekannt sind.
Das Fehlen eines grammatischen Merkmals, wie z.B. der Artikel, bedeutet keinen Mangel: Die Funktion wird anders erfüllt, oft mit weniger grammatischer Markierung. Kleine sprachvergleichende Aufgaben, z.B. „Wie sagt man den Satz X im Spanischen und Deutschen im Vergleich mit den Herkunftssprachen?“, können diesen Perspektivwechsel unterstützen. Fragen und Antworten zu den Herkunftssprachen sollten aber immer nur Angebote sein, diese Perspektive im Unterricht zu vertiefen. Weder für Lehrende noch für die Schüler:innen soll hier Zwang entstehen.
Mehrsprachigkeit als Ressource: Werden Herkunftssprachen aktiv genutzt, stärken sich Beziehungen im Klassenraum. Gemeinsam lässt sich interkulturelles Wissen vernetzen und Mehrsprachigkeit als Normalität etablieren. Organisiere Beiträge am besten so, dass alle mitdenken können.
Mehrsprachigkeit sichtbar machen: Karte nutzen!
Nutzen Sie die interaktive Karte der Herkunftssprachen im Vollbildmodus. Lassen Sie Lernende die Sprachen, die sie selbst oder ihre Mitschüler:innen sprechen, auf der Karte verorten. So lässt sich Mehrsprachigkeit auch visuell sichtbar machen.
Didaktische Konsequenz: Kenntnisse über Herkunftssprachen und ein sensibler Umgang damit ermöglichen einen Unterricht, in dem Fehlerquellen erklärbar, Vorteile nutzbar und Potenziale mehrsprachiger Lernender sichtbar werden. Spanischlernen wird so nicht nur ein sprachlicher Gewinn, sondern auch ein metasprachlicher (Sprechen über Sprache/n). Die Einbindung von Sprachbewusstheit sorgt zusätzlich dafür, dass Lernende ihr gesamtes sprachliches Repertoire reflektiert nutzen, Unterschiede bewusst wahrnehmen und Lernstrategien für weitere Sprachen entwickeln.
Wir fassen noch einmal zusammen
Die häufigsten Herkunftssprachen in Deutschland sind vor allem Türkisch, Russisch, Arabisch und Polnisch; daneben spielen auch Italienisch, Kurdisch, BKS und Englisch eine Rolle. Herkunftssprachen wirken sich auf Aussprache, Grammatik, Wortschatz und Lernstrategien aus, wobei sie sowohl positive Transfers ermöglichen als auch Interferenzen hervorrufen können.
Für die Aussprache ist der spanische Vibrant /r/ den meisten Herkunftssprachen vertraut, bereitet aber deutschsprachigen Lernenden Schwierigkeiten. In der Morphologie fehlen in manchen Sprachen Genus und Artikel (z.B. im Türkischen), was im Spanischen neu erworben werden muss. In der Syntax erleichtert das Nullsubjekt-Prinzip vielen Lernenden den Einstieg, während SOV-Sprachen anfangs Wortstellungsfehler begünstigen und Kasussprachen Präpositionen neu einüben müssen. In der Orthographie ist die Umstellung auf das lateinische Alphabet vor allem für arabische und kyrillische Schriftbenutzer eine Herausforderung.
Didaktisch bedeutet das: Fehler sollten nicht als Defizite betrachtet, sondern als Diagnoseinstrument verstanden werden (vgl. Kapitel Fehlerlinguistik). Ein sensibler Umgang mit Herkunftssprachen, die Sichtbarmachung von Mehrsprachigkeit etwa durch die interaktive Karte und die Förderung von Sprachbewusstsein schaffen die Grundlage dafür, dass Herkunftssprachen als Ressource wirken können.
Wer mehr wissen will (klickt hier)
Die Forschung zu Herkunftssprachen hat sich gewandelt: Während sie früher vor allem als Fehlerquelle gesehen wurden, zeigen Werke wie Gogolin (2008) und Neumann & Gogolin (2009), wie stark das Schulsystem von einem monolingualen Habitus geprägt war. Demgegenüber plädiert Krumm (2016) für die Anerkennung von Familiensprachen als Ressource.
Einen systematischen Überblick bieten Brehmer & Mehlhorn (2018) sowie die Handbücher von Gogolin, Hansen, McMonagle & Rauch (2020) und von Fäcke & Meißner (2019). Sie bündeln theoretische Grundlagen, empirische Befunde und didaktische Ansätze. Speziell für den deutschen Kontext beschreibt Mehlhorn (2017) die Stellung von Herkunftssprachen im Schulsystem und ihre Rolle im Fremdsprachenunterricht.
Aus linguistischer Perspektive steht heute im Vordergrund, Herkunftssprachen als gleichwertige Systeme zu begreifen und ihre typologischen Unterschiede – etwa im Bereich von Artikeln, Genus oder Satzbau – für Forschung und Unterricht reflektiert zu nutzen.
Wer sich über Strukturen einzelner Sprachen informieren möchte, findet im World Atlas of Language Structures (WALS) eine wertvolle Ressource. Dort werden zentrale Laut-, Grammatik- und Wortschatzmerkmale von über 2.500 Sprachen vergleichend und anschaulich visualisiert: wals.info
Literatur¶
- Bernd Brehmer & Grit Mehlhorn (2018): Herkunftssprachen. Tübingen: Narr Francke Attempto.
- Christiane Fäcke & Franz-Joseph Meißner (Hrsg.) (2019): Handbuch Mehrsprachigkeits- und Mehrkulturalitätsdidaktik. Wiesbaden: Springer VS.
- Ingrid Gogolin (2008): Der monolinguale Habitus der multilingualen Schule. 2., erw. Aufl. Münster: Waxmann.
- Ingrid Gogolin, Anita Hansen, Sarah McMonagle & Dorothea Rauch (Hrsg.) (2020): Handbuch Mehrsprachigkeit und Bildung. Wiesbaden: Springer VS.
- Hans-Jürgen Krumm (2016): „Anerkennung von Familiensprachen – zur Situation in Österreich“. In: Susanne Fürstenau & Mechtild Gomolla (Hrsg.): Migration und schulischer Wandel. Mehrsprachigkeit. Wiesbaden: Springer VS, 79–94.
- Grit Mehlhorn (2017): „Herkunftssprachen im deutschen Schulsystem“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 46 (2), 8–23.
- Ursula Neumann & Ingrid Gogolin (Hrsg.) (2009): Streitfall Zweisprachigkeit. The Bilingualism Controversy. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Dieses Kapitel zitieren
Jamaa Khodja, Selina Scholz, Felix Tacke (2025): „Herkunftssprachen“. In: Tacke, Felix (Koord.): Spanische Linguistik @ School. Marburg: Universität Marburg. Online: https://linguistik.online.uni-marburg.de/ DOI: 10.5281/zenodo.15348687
Auch nutzbar nach CC BY-SA 4.0-Lizenzregeln.
-
Autor:innen: Jamaa Khodja, Selina Scholz, Felix Tacke
Beiträge & Peer Review: Gloria Gabriel, Lea-Marie Domin
Letzte Änderung: 30.09.2025 ↩