1 Fehlerlinguistik1¶
„En mi ciudad hay muchas gentes ...“¶
Kaum ausgesprochen, wird eine solche Äußerung bereits korrigiert: „La gente. Se dice la gente, en singular.“ Solche Szenen prägen jede Unterrichtsstunde. Korrigiert wird ständig, nicht nur in Klassenarbeiten, sondern gerade auch in der mündlichen Interaktion. Willkommen in der Schule – dem Ort, an dem Fehler nicht bloß passieren, sondern selbstverständlich dazugehören.
Fehler – egal ob sie die Aussprache, Wortwahl, Wortbildung oder die Wortstellung betreffen – sind ein unvermeidbarer Teil jedes Sprachlernprozesses. Deshalb stellt das, was wir Fehlerlinguistik nennen, ein besonders zentrales Werkzeug unseres Toolkits dar. Mit Fehlerlinguistik meinen wir die systematische Betrachtung, Analyse und Reflexion von sprachlichen Fehlern im Lernprozess – also die Frage, warum Fehler entstehen, was sie uns über den Lernstand verraten und wie Lehrkräfte und Lernende am besten konstruktiv damit umgehen können.
Beurteilen und Kritisieren: Sprachkritik als anthropologisches Grundmuster
Beurteilung und Kritik sind universelle Phänomene. Menschen bewerten Sprache überall dort, wo sie zwischen verschiedenen Ausdrucksformen wählen können. Diese Neigung, Varianten zu vergleichen, zu bewerten und zu ordnen, gilt als universales sprachliches Verhalten (von Polenz 1991; Felder et al. 2017). Aus genau diesem Muster entstanden historisch auch die sogenannten Standardsprachen (vgl. Kapitel Variation & Plurizentrik): Über längere Zeiträume wurden bestimmte Varianten gegenüber anderen bevorzugt, sie setzten sich sozial, politisch oder kulturell durch – und bildeten schließlich die Grundlage dessen, was später als „richtig“ oder „falsch“ galt. Erst durch diese Prozesse der Selektion und Hierarchisierung sind auch präskriptive Schulgrammatiken erst entstanden.
Fehlerkorrektur im Fremdsprachenunterricht knüpft an dieses allgemeine Muster an. Sie macht die zugrunde liegenden Normvorstellungen explizit und lenkt die Aufmerksamkeit gezielt auf Abweichungen – nicht aus sprachpuristischer Absicht, sondern mit dem Ziel, sprachliches Lernen nachvollziehbar zu strukturieren.
Wer Fehler sucht, wird sie mit Sicherheit finden. Schließlich heißen Lernende ja genau deshalb so, weil ihre Fremdsprachenkenntnisse eben nicht auf „Erstsprachenniveau“ (neutral für „Muttersprache“) liegen, sondern sich irgendwo zwischen ihrer Erstsprache und der angestrebten Fremdsprache (oder „Zielsprache“) bewegen: Hier also etwa auf halbem Weg zwischen Deutsch und Spanisch – oder Türkisch und Spanisch oder auch Arabisch und Spanisch. Dabei wissen wir alle aus eigener Erfahrung: Auch in unserer Erstsprache machen wir regelmäßig Fehler, etwa wenn wir uns versprechen, Wörter verwechseln oder nach der richtigen Formulierung suchen.
Im Fremdsprachenunterricht steht – anders als in vielen anderen Schulfächern – häufig nicht primär der eigentliche Inhalt im Fokus, sondern vor allem die Form, also die Sprache selbst: Ist das Verb korrekt konjugiert (yo teno statt yo tengo)? Werden Wörter richtig ausgesprochen (hay mit ausgesprochenem <h>)? Passt die Wortwahl zur jeweiligen Situation (z.B. tú oder usted)? Und so weiter und so fort.
Die hier skizzierte Fehlerlinguistik lädt dazu ein, die Perspektive auf sprachliche Fehler grundlegend zu verändern: Weg von der Vorstellung, sie seien bloße Abweichungen von einer als absolut gesetzten Norm – hin zu einem Verständnis, das Fehler als wertvolle Hinweise auf Lernprozesse und sprachliche Kompetenz begreift. Rolf Kreyer hat diesen Perspektivwechsel in seinem Toolkit überzeugend herausgearbeitet – und wir teilen diese Sichtweise ausdrücklich. Für den Erwerb des Spanischen gilt also genauso wie für den Englischunterricht, dass
„errors can be very helpful in telling you what your students do not yet know, and, and this may come as a bit of a surprise, often they can tell you what your students do already know“ (Kreyer 2023, 18)
Was im Unterricht allzu schnell als immer noch falsch abgestempelt wird, kann aus linguistischer Sicht ein produktives Zwischenergebnis sein – ein wichtiges Indiz dafür, was die Lernenden schon beherrschen, d.h. wie die Lernendensprache gerade aussieht. Auch in unserem Kapitel verstehen wir Fehler nicht als Störungen, sondern als analytisch aufschlussreiche Phänomene, die tiefere Einblicke in den individuellen Stand sprachlicher Kompetenz ermöglichen.
Bevor wir uns den verschiedenen Dimensionen sprachlicher Fehler widmen, klären wir zunächst etwas genauer, was im Kontext des Spracherwerbs überhaupt als Fehler gilt. Anschließend werfen wir einen Blick auf zentrale Fehlertypen, den möglichen Umgang mit ihnen im Unterricht – und die Frage, ob Fehler nicht mehr sind als bloße Abweichungen von der Norm.
Lernendensprache
Die sogenannte Lernendensprache (auch: Interimsprache oder engl. Interlanguage) bezeichnet das individuelle, sich entwickelnde Sprachsystem von Lernenden. Es basiert auf dem Zusammenspiel von Elementen der Erst- und Zielsprache und folgt eigenen, teils systematischen Regeln. Fehler sind in diesem System nicht bloß Störungen, sondern Hinweise auf den jeweiligen Stand des Sprachlernprozesses. Ziel des Unterrichts ist es, diese Lernendensprache schrittweise an die Zielsprache heranzuführen.
Eine ausführlichere Darstellung dieses Konzepts und seiner didaktischen Relevanz findet sich bei Kreyer (2023, 30–32), weitere Literatur zum Thema findest Du unten.
Was ist ein Fehler?¶
In der Fehlerlinguistik gilt als Fehler jede systematische, unbeabsichtigte Abweichung von den Regeln und Gebrauchskonventionen der Zielsprache. Als Vergleichsbasis dienen immer Erstsprachler:innen: Würde jemand mit Spanisch als Erstsprache sich so in einer vergleichbaren Situation ausdrücken? Wenn die Antwort „nein“ oder „wahrscheinlich nicht“ ist, dann handelt es sich um einen Fehler. Mit Fehler ist damit übrigens nicht nur der Grammatikfehler gemeint, sondern jegliche Form der Abweichung – von der Aussprache über die Grammatik bis hin zur situativen Angemessenheit und der entsprechenden Wortwahl. Denn sprachliche Kompetenz heißt auch: Kontext, Register und Gesprächspartner im Blick haben.
Im Gegensatz zu einmaligen Versprechern oder Tippfehlern (sog. mistakes) spiegeln Fehler den jeweiligen Entwicklungsstand der Lernendensprache wider und sind deshalb diagnostisch wertvoll: Sie zeigen nicht nur, was Lernende noch nicht beherrschen, sondern oft auch, worauf ihre aktuelle Kompetenz bereits aufbaut. Im oben erwähnten Beispiel – teno statt tengo – erkennt man also, dass die Flexionsendung der 1. Person Singular beherrscht wird, auch wenn noch nicht alle unregelmäßigen Formen ausreichend verinnerlicht sind. Wir können Fehler im Sinne der Fehlerlinguistik wie folgt definieren:
Ein Fehler im Spracherwerb ist eine systematische, unbeabsichtigte Abweichung von der Zielsprache. Er beruht auf dem aktuellen Stand der Lernendensprache und betrifft nicht nur die sprachliche Form, sondern auch Bedeutung, Kontext und angemessenen Gebrauch im jeweiligen Kommunikationsrahmen. Bewertet werden Fehler gegenüber dem, wie sich eine Person ausrücken würde, welche die Zielsprache als Erstsprache spricht.
Damit fungieren Fehler im Unterricht nicht als reine „Defizitmarker“, sondern als Wegweiser für gezielte Förderung und für den nächsten Entwicklungsschritt der Lernendensprache.
Davon abzugrenzen sind sogenannte Flüchtigkeitsfehler – spontane, meist situationsbedingte Ausrutscher wie Versprecher oder einfache Formfehler, die auch kompetenten Sprecher:innen der Erstsprache regelmäßig unterlaufen. In diesen Fällen ist die zugrunde liegende Regel bekannt; der Fehler ist also nicht Ausdruck fehlender Kompetenz, sondern typischerweise durch Unachtsamkeit oder Sprechtempo bedingt. Solche Fehler werden in der Fehlerlinguistik nicht als „eigentliche Fehler“ gewertet und benötigen im Unterricht in der Regel weniger Aufmerksamkeit – es sei denn, sie häufen sich und deuten auf mangelnde Routinisierung hin.
Im Folgenden richten wir den Blick deshalb gezielt auf systematische Fehler der Lernenden – denn sie sind es, die uns als Lehrende echte Einblicke in den Sprachstand der Lernenden geben und didaktisch besonders fruchtbar sind.
Richtig und falsch, aber auch angemessen?¶
Die Aussage “El año pasado tení muchos problemas“ ist situationsunabhängig grammatikalisch falsch, da der Indefinido des Verbs tener nicht regelmäßig gebildet wird. Richtig wäre: “El año pasado tuve muchos problemas.“ Es handelt sich eindeutig um ein Beispiel für einen Fehler auf der Ebene der Grammatik bzw. einzelsprachlichen Kompetenz, wo man nach dem Kriterium der Korrektheit, also zwischen richtig und falsch bzw. korrekt und inkorrekt unterscheidet.
Demgegenüber ist der Satz „Salutaciones cordiales a tu señora madre“ zwar grammatikalisch korrekt, wirkt aber altmodisch und übertrieben höflich. Üblicher wäre: „Saludos a tu mamá“, das klingt deutlich informeller und natürlicher, ohne dabei unhöflich zu sein. Der Fehler liegt hier auf der Ebene der situativen Angemessenheit (ein Bereich, der in der Linguistik im Rahmen der Pragmatik behandelt wird, wo es um die Verwendung von Sprache im Kontext geht). Ein weiteres Beispiel: In Spanien kann man zu Freunden durchaus „¡No jodas!“ sagen, was so viel bedeutet wie ‚Im Ernst?!‘ oder ‚Erzähl keinen Scheiß!‘. Dieselbe Äußerung wäre gegenüber einer Lehrperson aber völlig unangebracht. Auch hier hängt die Bewertung der Äußerung vom Kontext, konkret davon, mit wem gesprochen wird, ab. Solche Fehler werden nicht nach dem Kriterium richtig vs. falsch, sondern nach dem Kriterium der Angemessenheit beurteilt.
Coseriu: Die drei Ebenen des Sprechens – und ihre Bewertung
Der vor allem in der Romanistik breit rezipierte Sprachwissenschaftler Eugenio Coseriu verortet diese Unterscheidungen im Rahmen seiner umfassenden Theorie sprachlicher Kompetenz. Für ihn sind Fragen nach Fehlern, Korrektheit und Angemessenheit nicht bloß didaktische Randthemen, sondern Ausdruck davon, wie Sprache grundsätzlich funktioniert – als historisch gewachsene, kulturell eingebettete und situationsgebundene Praxis. Seine Einteilung des Sprechens in drei Ebenen bietet daher auch eine theoretische Tiefenschärfe für die Unterscheidung von Fehlertypen. Coseriu macht klar, dass jede Äußerung gleichzeitig auf drei Ebenen bewertet wird – und dass Sprecher (und damit natürlich auch Lernende) diese Unterscheidung intuitiv bereits kennen. Auf der universellen Ebene prüfen Sprecher, ob eine Aussage überhaupt mit Logik und Weltwissen vereinbar ist: „Ich habe mein altes Klavier gekocht“ löst sofort Kopfschütteln aus, „Das linke Horn des Einhorns ist schwarz“ ist schlicht absurd, obwohl beide Sätze grammatisch korrekt sind. Coseriu spricht hier von (In-)Kongruenz. Auf der historischen Ebene geht es um die Korrektheit innerhalb einer Einzelsprache: Wer im Deutschen äußert „Ich sehe die Haus“, wird zwar verstanden, drückt sich aber einzelsprachlich inkorrekt aus. Die individuelle Ebene betrifft schließlich die Sprachverwendung. Hier wird nach der Angemessenheit einer Äußerung im konkreten Kontext gefragt. Ein klassisches Beispiel aus seinem Text lautet: „Ich habe gehört, dass Ihr Alter es nicht mehr lange machen wird.“ Der Satz ist sprachlich vollkommen korrekt, wirkt im Gespräch jedoch taktlos und daher sozial unangemessen. Genau solche Fälle zeigen, dass Fehlerurteile sich hier nicht auf die einzelsprachliche Grammatik stützen, sondern darauf, ob Form, Adressat und Kontext miteinander harmonieren.
Für den Unterricht sind vor allem die beiden letzten Ebenen bedeutsam: Korrektheit (bezogen auf die jeweilige Sprache) und Angemessenheit (bezogen auf den jeweiligen Kontext) bestimmen, ob wir von einem „Fehler“ sprechen. Die universelle Ebene, das Sprechen im Allgemeinen nach den Regeln von Sinnhaftigkeit und Logik, bildet dabei natürlich den Hintergrund. Mit dieser Dreiteilung hat Coseriu der Romanistik ein bis heute zentrales Raster geliefert – und gezeigt, dass Abweichungen von Normen uns helfen, das Funktionieren von Sprache und Sprechen besser zu verstehen und Teil jeder Sprachtheorie sein sollten.
Ein weiteres Phänomen betrifft sogenannte semantisch-pragmatische Unterscheidungen, wie sie im Spanischen etwa zwischen ser und estar bestehen: estar orgulloso bedeutet ‚stolz auf jemanden sein‘, während ser orgulloso eine (meist negative) Charaktereigenschaft beschreibt (jemand wird also als besonders eitel beschrieben). Ob ein Ausdruck als fehlerhaft gilt, hängt hier entscheidend von der kommunikativen Absicht ab. Das zeigt auch der Satz „Mi amigo es aburrido. No hace nada.“ Ist tatsächlich gemeint, dass die Person langweilig ist, wäre die Formulierung korrekt gewählt; soll jedoch ausgedrückt werden, dass sie sich langweilt, müsste es está aburrido heißen. Fehler werden in solchen Fällen erst im Abgleich mit dem sichtbar, was gemeint war – nicht nur mit dem, was gesagt wurde. Gerade solche Beispiele verdeutlichen, dass Lehrkräfte (fortgeschrittene) Lernende dafür sensibilisieren sollten, ihre sprachlichen Mittel bewusst im Hinblick auf die jeweilige kommunikative Absicht zu wählen. Denn Sprache ist nicht nur ein Regelsystem, sondern vor allem ein Mittel, um etwas auszudrücken – und genau daran sollten sich Korrektur und Lernfortschritt orientieren.
Ein weiteres Beispiel verdeutlicht, wie eng Fehlerurteil und Kontext zusammenhängen – und wie rasch geographische Unterschiede ins Spiel kommen: Ein Schüler, der viele mexikanische Netflix-Serien schaut, verwendet im Unterricht konsequent ustedes anstelle von vosotros/-as und konjugiert entsprechend in der 3. Person Plural. Grammatikalisch ist das völlig korrekt, und in Hispanoamerika ist ustedes auch die einzige Form, um sich an mehrere Gesprächspartner zu wenden. Liegt nun ein Fehler vor, wenn der Schüler diese Form verwendet, obwohl im Klassenraum immer nur das Spanische Spaniens unterrichtet wurde? Aus heutiger linguistischer Perspektive nicht: Aber es wäre zu thematisieren, dass die Form typisch für die meisten Länder wäre, wohingegen in Spanien (außer in südlichen Regionen und den Kanaren) ausschließlich die Form vosotros/-as vorkommt.
Der oben genannte Ausruf „¡No jodas!“ weist übrigens ebenfalls geographische Unterschiede auf: Unter Freunden in Madrid gilt er als locker-umgangssprachlich, in Mexiko würde er aber möglicherweise ganz anders, nämlich negativ verstanden (vgl. das DEM, s.v. joder). Auch hier entscheidet also wer miteinander spricht und wo. Statt pauschal von richtig oder falsch zu sprechen, lohnt es sich deshalb, die Vielfalt des Spanischen zu berücksichtigen und Lernende dafür zu sensibilisieren – zumindest in fortgeschrittenen Kursen.
Wie mit solchen Varietäten-Fragen oder „Varietätenabweichungen“ und mehreren gleichberechtigten Referenznormen umzugehen ist, vertiefen wir im Kapitel Variation & Plurizentrik – dort geht es nicht um ein einziges „richtiges“ Spanisch, sondern um das Spanische als plurizentrische Sprache sowie die didaktischen Herausforderungen und Chancen, die sich daraus ergeben.
Umgang mit Fehlern – linguistisch & kompetent¶
Wenn wir Fehler nicht mehr bloß als Defizite verstehen, sondern als Spiegel des individuellen Lernstands, stellt sich zwangsläufig die Frage, wie wir im Unterricht angemessen damit umgehen. Dabei lohnt es sich, zwischen systematischen Fehlern und Flüchtigkeitsfehlern zu unterscheiden.
Letztere – spontane Ausrutscher, wie sie auch in der Erstsprache auftreten – sind meist das Ergebnis von Konzentrationsmangel oder fehlender Routine. Die zugrunde liegende Struktur ist bekannt, die Lernenden können sich häufig selbst korrigieren. Didaktisch sind diese Fehler meist weniger relevant, es sei denn, sie treten gehäuft auf und geben Anlass zur gezielten Übung. Ein kurzer fragender Blick und ein Echo im fragenden Ton („¿el año pasado… tení?“) genügt oft – die Lernende können sich sofort selbst korrigieren.
Im Fokus stehen deshalb die systematischen Fehler, die aus dem aktuellen Regelsystem der Lernendensprache entstehen. Entscheidend ist, dass diese Fehler nicht bloß als falsche Formen betrachtet, sondern analysiert, verstanden und als Anlass für Weiterarbeit genutzt werden.
Kreyer beschreibt in seinem Toolkit die Notwendigkeit für einen klugen Umgang mit Fehlern, wenn man sie als ‚nützliche Ressource‘ betrachtet. Das erfordert linguistische Kompetenz und er bezeichnet sie nicht umsonst als die art of repairing:
„First of all, you have to notice that something is not the way it should be. Once you’ve done that you need to be able to analyse what is going on and you need to be able to identify the actual problem. It is only then that you can address this problem and repair the whole structure. This is true for any kind of craft just as much as it is true for language teaching.“ (Kreyer 2023, 28–29)
Es lässt sich ein dreistufiges Vorgehen ableiten: Zunächst sollte der Fehler wahrgenommen und markiert werden – nicht unbedingt durch Unterbrechung, sondern auch nonverbal oder durch Rückfragen. Dann folgt die Analyse: Welche Regel steckt hinter der Äußerung? Handelt es sich um eine Übertragung aus der Erstsprache oder um eine eigene Hypothese über die Zielsprache? Im dritten Schritt können die Lernenden idealerweise durch angeleitete Selbstkorrektur zum richtigen Ausdruck hingeführt werden – denn das unterstützt Verstehen und festigt die Struktur deutlich nachhaltiger als ein bloßes Vormachen.
Natürlich bleibt es eine Frage der Situation: Manchmal ist eine direkte Korrektur aus Zeitgründen notwendig oder sinnvoll, um den Gesprächsfluss nicht zu unterbrechen. Auch hier gilt: Fehler zu erkennen, ist das eine – didaktisch klug darauf zu reagieren, das andere. Wenn das Gesagte klar verstanden wurde und der Fehler die Kommunikation nicht stört, kann eine Korrektur bewusst aufgeschoben werden – denn übermäßiges Eingreifen hemmt nachweislich die Sprechbereitschaft und wirkt demotivierend. Wie man sinnvoll – und außerdem linguistisch präzise – auf die oben genannten Typen von Fehlern sowie auf Abweichungen, die gar keine Fehler im Sinne der Fehlerlinguistik sind, eingehen kann, zeigen die folgenden Übersichten:
A – Systematische Fehler im Sinne der Fehlerlinguistik¶
| Typ | Empfohlene Reaktion | Beispiel-Signal auf Spanisch |
|---|---|---|
| Grammatikfehler | Prompt + metasprachlicher Hinweis; Selbstkorrektur anstoßen. | Piensa en la primera persona irregular… |
| Unidiomatischer Ausdruck | Reformulierung anregen. | No se dice así. ¿Cómo lo dirías? |
| Pragmatisch unangemessen (Ton, Höflichkeit) | Kontext klarmachen, Alternative erarbeiten. | En esta situación no se diría así. ¿Cómo decirlo de otro modo? |
| Zeitdruck / Gesprächsfluss sichern | Kurzes „Recast“ – richtige Form vorsprechen und weiterreden. | — „yo tengo“ —, Gespräch läuft weiter |
B – Abweichungen, die keine eigentlichen Fehler sind¶
| Typ | Empfohlene Reaktion | Beispiel-Signal (Spanisch) |
|---|---|---|
| Flüchtigkeitsfehler (Versprecher, Tippfehler) | Kurzes Echo oder fragende Intonation – Lernende korrigieren sich selbst. | ¿yo teno? |
| Varietätenabweichungen (z.B. ustedes statt vosotros) | Variante wertfrei einordnen, regionale Unterschiede aufzeigen. | En España se suele decir „vosotros“, en México „ustedes“. |
Wir fassen noch einmal zusammen
Fehler zu analysieren, heißt herauszufinden, welche Strukturen Lernende schon beherrschen – und wo noch Unsicherheiten bestehen. So lassen sich Unterricht und Übung genau dort ansetzen, wo der nächste Entwicklungsschritt ansteht. Fehler sind also keine Störungen oder Defizite, sondern Diagnosewerkzeuge, die Dir als Lehrkraft zeigen, wo sich die Lernenden auf dem Weg zur Zielsprache gerade befinden. Voraussetzung dafür ist linguistisches Wissen: Nur wer versteht, warum ein Fehler entsteht, kann sinnvoll damit umgehen. Die Fehlerlinguistik kehrt also die Perspektive um, vom Fehler als Defizit zum Fehler als Chance und Fenster. Die Fehlerlinguistik bildet daher das zentrale Werkzeug für alle Ebenen der Sprachbetrachtung und des Sprachlernens und begleitet uns in jedem der folgenden Kapitel.
Wer mehr wissen will (klickt hier)
Die frühen Grundlagen der Fehlerlinguistik wurden von Corder (1967) und Selinker (1972) gelegt. Der Sammelband von Cherubim (2010) bietet dazu einen fundierten Überblick aus deutschsprachiger Sicht.
Zum didaktischen Umgang mit Fehlern im Unterricht sind die Arbeiten von Lyster & Ranta (1997) sowie Li (2010) zentral – sie zeigen, welche Formen von Korrektur (z. B. Recasts, Prompts) wann besonders wirksam sind. Für schriftliches Feedback ist Bitchener & Ferris (2012) einschlägig.
Speziell zur Didaktik des Spanischunterrichts und zur romanistischen Perspektive gibt das Handbuch Fachdidaktik Spanisch (Hg. Grünewald & Küster, 2. Aufl. 2017) einen umfassenden Überblick über aktuelle Entwicklungen, Herausforderungen und typische Fehlerquellen. Besonders hervorzuheben ist das Kapitel von Hinger (2017), das konkrete Strategien für einen lernförderlichen und differenzierten Umgang mit Fehlern im Spanischunterricht präsentiert – etwa bei häufigen Fehlertypen, bei pragmatischer Angemessenheit oder im Umgang mit Varietätenvielfalt. Schlaak (2020) ergänzt diese Perspektive durch eine empirische Untersuchung zur Fehlertoleranz von Lernenden im ersten Spanischlernjahr – und zeigt, wie das Korrekturverhalten der Lehrkraft die Lernhaltung prägt. Bechtel (2016) beschreibt darüber hinaus, wie Fehlerkompetenz in der Ausbildung angehender Spanischlehrkräfte gezielt aufgebaut werden kann.
Theoretisch tief verankert ist die Fehlerfrage bei Coseriu (1974), der zwischen systematischer Korrektheit und situativer Angemessenheit unterscheidet – eine bis heute zentrale Grundlage für das Nachdenken über Sprache und Norm.
Literatur¶
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Bechtel, Mark (2016): „Mündliche Fehlerkorrektur als Bestandteil eines fachdidaktischen Moduls in der Französisch-, Spanisch- und Italienischlehrerausbildung“. In: Brunetti, Simona / Klingebeil-Schieke, Josephine / Pedron, Chiara Maria / Piotrowski, Marie-Christin / Ruggieri, Antonella / Schreiber, Rebecca (Hg.): Versprachlichung von Welt. Festschrift zum 60. Geburtstag von Maria Lieber. Tübingen: Stauffenburg, S. 589–607.
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Bitchener, John / Ferris, Dana R. (2012): Written Corrective Feedback in Second Language Acquisition and Writing. London / New York: Routledge.
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Cherubim, Dieter (Hg.) (1980): Fehlerlinguistik. Beiträge zum Problem der sprachlichen Abweichung. Tübingen: Niemeyer.
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Corder, S. P. (1967): „The Significance of Learners’ Errors“. International Review of Applied Linguistics 5 (4), 161–170.
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Coseriu, Eugenio (2007): Sprachkompetenz. Grundzüge der Theorie des Sprechens. 2. Auflage. Tübingen: Narr.
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Felder, Ekkehard / Schwinn, Horst / Busse, Beatrix / Eichinger, Ludwig M. / Große, Sybille / Gvozdanović, Jadranka / Jacob, Katharina / Radtke, Edgar (Hg.) (2017): Handbuch europäische Sprachkritik online (HESO). Band 1: Sprachnormierung und Sprachkritik. Heidelberg: Heidelberg University Publishing.
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Grünewald, Andreas / Küster, Lutz (Hg.) (2017): Fachdidaktik Spanisch. Handbuch für Theorie und Praxis. 2., überarbeitete Auflage. Stuttgart: Klett.
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Hinger, Barbara (2017): „Umgang mit Fehlern im Spanischunterricht“. In: Grünewald, Andreas & Küster, Lutz (Hg.): Fachdidaktik Spanisch. Stuttgart: Klett, S. 243–262.
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Li, Shaofeng (2010): „The Effectiveness of Corrective Feedback in SLA: A Meta-Analysis“. Language Learning 60 (2), 309–365.
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Kreyer, Rolf (2023): The Linguistic Toolkit for Teachers of English: Discovering the Value of Linguistics for Foreign Language Teaching. Tübingen: Narr Francke Attempto.
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Lyster, Roy & Ranta, Leila (1997): „Corrective Feedback and Learner Uptake: Negotiation of Form in Communicative Classrooms“. Studies in Second Language Acquisition 19 (1), 37–66.
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Schlaak, Claudia (2020): „Fehlertoleranz bei und von Fremdsprachenlernern im ersten Lernjahr“. In: Ossenkop, Christiane & Veldre-Gerner, Gabriele (Hg.): Fehler – Abweichung – Variation. Frankfurt a. M.: Lang, S. 209–223.
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Selinker, Larry (1972): „Interlanguage“. International Review of Applied Linguistics 10 (3), 209–231.
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von Polenz, Peter (1991): „Sprachkritik – Untersuchungen zu ihrer Geschichte und Funktion“. Muttersprache 101, 81–94.
Dieses Kapitel zitieren
Gabriel, Gloria / Merte, Marlon / Tacke, Felix (2025): „Fehlerlinguistik“. In: Tacke, Felix (Koord.): Spanische Linguistik @ School. Marburg: Universität Marburg. Online: https://linguistik.online.uni-marburg.de/ DOI: 10.5281/zenodo.15348687
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Autor:innen: Gloria Gabriel, Marlon Merte, Felix Tacke
Beiträge & Peer Review: Renata Freyre Castro, Jamaa Khodja, Büşra Özen, Selina Scholz und Teodora TeodorescuLetzte Änderung: 18.06.2025 ↩